Arbeit und Soziales Kommentar Zum Leben zu wenig

Nicht die Armen sind das Problem, es sind die Reichen

Eine gerechtere Besteuerung kann die Finanzierung des Bundeshaushalts dauerhaft lösen

Von Norbert Attermeyer

Dass Reiche immer reicher werden und viele Arme immer ärmer, ist ein alter Hut. Der Bundesfinanzminister treibt diese Entwicklung mit seiner „Sparpolitik“ jetzt noch einmal auf die Spitze. Im Bundeshaushalt klafft eine erhebliche Finanzierungslücke, aber aus seiner Sicht haben wir nicht ein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem. Und so sollen in diesem Jahr schon einmal 850 Millionen Euro bei den Jobcentern eingespart werden. Für Münster bedeutet dies, dass die Förderung von Langzeitarbeitslosen auf nahezu Null reduziert wird. Keine 16i-Stellen und keine AGH-Stellen (Zwei-Euro-Jobs) mehr. Der Staat macht sich dünne.

„Arbeit macht das Leben süss – Dat makt de Rieken de Armen wies“ – Foto: Arnold Voskamp

Dabei hat Deutschland in Wirklichkeit ein gravierendes Einnahmeproblem mit einer deutlichen Schieflage. Das findet jedenfalls der Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Seine Erkenntnis: Kaum ein Land besteuere Arbeit mehr und Vermögen weniger als Deutschland. Wenn der Bundesfinanzminister behaupte, Deutschland sei ein Hochsteuerland, so gelte dies nur für die mittleren und geringen Einkommen. Sie zahlen im internationalen Vergleich tatsächlich die höchsten Steuern. Und werden ausgepresst wie eine Zitrone. Für die Spitzenverdiener gelte dies aber nicht.

Betrachtet man die Besteuerung von Hochvermögenden – so Fratzscher – sei Deutschland geradezu ein Niedrigsteuerland. So nimmt etwa der deutsche Staat jährlich nur ein Prozent der Wirtschaftsleistung oder knapp 40 Milliarden Euro an vermögensbezogenen Steuern ein. Andere Länder wie die USA, Frankreich oder Großbritannien haben drei- bis viermal so hohe Steuereinnahmen auf Vermögen. Das heißt: wenn Deutschland Vermögen genauso besteuern würde wie diese drei Länder, dann hätte der Staat jedes Jahr 100 Milliarden an zusätzlichen Einnahmen.

Die aktuellen Finanzierungslücken wären also schnell geschlossen. Aber unser Finanzminister fährt wie ein finanzpolitischer Geisterfahrer in genau die andere Richtung: Ermäßigungen bei den Spitzensteuersätzen und eine weitere Belastung der Sozialhaushalte. Im Moment wird sogar die Abschaffung der Mütter-Rente diskutiert.

Das Beispiel der oben erwähnten Länder – und vieler anderer Industrieländer – räumt auch den Einwand aus, „eine stärkere Besteuerung von Vermögen verursache einen wirtschaftlichen Schaden oder eine Kapitalflucht aus Deutschland.“

Was unseren Bundesfinanzminister umtreibt, wissen wir nicht. Vielleicht Mobbing auf seinem Golfplatz? Tatsache ist, dass Deutschland im internationalen Unterbietungswettbewerb für Superreiche nicht Opfer ist, sondern Täter. Hier würde sich ein Umdenken wirklich lohnen. Die Ursachen für die geringen Steuereinnahmen bei Hochvermögenden in Deutschland liegt laut Marcel Fratzscher nicht daran, dass es so wenige von ihnen gibt, sondern dass die Steuersätze auf Vermögen schlicht zu gering sind und dass Steuervermeidung oft sehr einfach gemacht wird.

Das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat berechnet, dass die durchschnittlichen Abgaben bei Millionären bei 24 Prozent liegen – und damit deutlich unter denen von Durchschnittsverdienern. Mit einer ungerechten Steuerpolitik gegenüber kleinen und mittleren Einkommen wird der Laden am Laufen gehalten. Diese über Jahre hinweg betriebene unsoziale Finanzpolitik hat natürlich Folgen, jedenfalls für die Reichen: Aus dem letzten Jahresbericht der Schweizer Großbank UBS geht hervor, dass Deutschland weltweit bei der Anzahl von sehr Wohlhabenden – hier definiert als Personen mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen US-Dollar – hinter den USA und China an dritter Stelle liegt. Zudem gibt es ungewöhnlich viele Milliardäre in Deutschland, nämlich 109, im Vergleich zu Frankreich mit seinen 34 Milliardären.

Die BMW-Erbin Susanne Klatten meldet übrigens Jahr für Jahr rund eine Milliarde Euro Einnahmen bei der Steuer an (nach Abzug der vielen Tricks zur Steuervermeidung). Dass sie wirklich 1000 Millionen Euro in einem Jahr erarbeitet hat, ist nur schwer vorstellbar. Ihr großer Vorteil: Sie hat eben gut geerbt. Dies geht auch aus dem Bericht der UBS hervor: Den größten Zuwachs an Milliardären gab es nicht durch Unternehmertum, sondern durch Erbschaft. Kommentar von Wirtschaftsexperte Fratzscher: „Glück und nicht Leistung sind die wichtigste Erklärung für großen Reichtum. Knapp 60 Prozent aller privaten Vermögen in Deutschland wurden nicht durch eigener Hände Arbeit erzielt, sondern durch Erbschaft und Schenkung.“

Jährlich werden 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. die Erbschaft großer Firmen wird beispielsweise gar nicht besteuert. Eine moderate Erhöhung der Erbschaftssteuer würde einiges für den Staatshaushalt bringen.

Aber all dies scheint in unseren Medien kein Thema zu sein. Dort kann man eher den Eindruck gewinnen, dass die Zukunft Deutschlands untrennbar mit dem angeblichen Leistungsmissbrauch beim Bürgergeld verbunden ist. Mit Billigjobs soll Deutschland zukunftsfähig gemacht werden. Mindestens aber mit einer Fahrtzeit von zweieinhalb Stunden für einen Billig-Job, wie es gerade von der Koalition beschlossen wurde. Hier nur zur Erinnerung: Die gesamten privaten Medien gehören fünf reichen Familien. Warum die wohl kein Interesse haben, Reichtum zu diskutieren?

Sicher gibt es beim Bürgergeld vereinzelt Leistungsmissbrauch. Wobei aber immer wieder gesagt werden muss, dass die überwältigende Mehrheit der Leistungsbezieher*innen ehrlich und verlässlich ist. Ganz anders als es in der Blöd-Zeitung oder bei RTL II dargestellt wird. Die offizielle Treibjagd auf arme Menschen scheint eröffnet zu sein. Arme Menschen haben keine nennenswerte Lobby und eignen sich deswegen gut als Sündenbock für die aktuelle Misere. Und der Regelsatz wird im neuen Jahr schon mal nicht erhöht. Allen Ernstes wird auch das Aushungern, also die komplette Streichung des Regelsatzes, gefordert. Die Würde des Menschen scheint in diesem Fall gerade nicht mehr fassbar zu sein.

Die Kosten für den viel beklagten Leistungsmissbrauch werden übrigens auf grob 60 Millionen Euro geschätzt. Auf den ersten Blick eine relevante Summe, aber am Ende nur Peanuts. Verglichen damit, dass nach aktuellen Schätzungen dem deutschen Staat jährlich 100 Milliarden Euro vor allem von Hochvermögenden durch Steuervermeidung entgehen. 60 Millionen hier, überall zu lesen in den bekannten Medien rauf und runter – oder 100.000 Millionen auf der anderen Seite. Das gibt es dann aber nur ganz selten zu lesen. Komisch.