Arbeit und Soziales Zum Leben zu wenig

Der Mindestlohn muss zügig steigen

Die Sozialpolitik und die Umverteilung gehören auf die Tagesordnung

Von Carsten Peters1

Sozialpolitik und Umverteilung müssen wieder auf die Tagesordnung, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Anfang des Jahres hatten mehrere Millionen Menschen gegen Rechts, gegen Rassismus und für Solidarität und Demokratie demonstriert. Ein Überblick.

Der Mindestlohn muss zügig steigen, zunächst auf mindestens 14,50 Euro, dann zügig weiter. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält weiter fest am Ziel eines existenzsichernden Mindestlohns, der gemäß der europäischen Mindestlohn-Richtlinie bei 60 Prozent des mittleren Einkommens von Vollzeitbeschäftigten liegen muss. Neue Kriterien legt auch die bis November 2024 in nationales Recht umzusetzende EU-Richtlinie fest. Auch diese muss die Mindestlohnkommission berücksichtigen: Der gesetzliche Mindestlohn muss Armut trotz Erwerbstätigkeit bekämpfen, die Kaufkraft unter Berücksichtigung der Inflation erhalten und allen Beschäftigten gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Wobei der Mindestlohn dabei immer nur die unterste Haltelinie sein kann, unter der kein Lohn in der Bundesrepublik gezahlt werden darf. Mit dem Mindestlohn steigen somit die weiteren Löhne und Gehälter, das Ziel ist es, mehr Geld für die Beschäftigten in den unteren Lohngruppen zu erreichen. Gute Arbeit und gute Löhne gibt es nur mit Tarifverträgen. Deshalb sollte die Bundesregierung endlich die Tarifbindung stärken und unter anderem das lange angekündigte Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Dieses Gesetz muss dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge ausschließlich an Unternehmen vergeben werden, die Tarifverträge anwenden.

Beim Mindestlohn gebe es immer noch millionenfach Betrügereien auf Arbeitgeberseite, so der DGB. Das Potential an kriminellen Arbeitgebern sei enorm. Deshalb müssten die Kontrollen – auch zum Schutz der ehrlichen Arbeitgeber – verstärkt werden. Notwendig seien mehr verdachtsunabhängige Stichproben durch die zuständige Behörde Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Ebenso sollten die Beschäftigten ihre Arbeitszeiten dokumentieren und Verstöße gegen das Mindestlohngesetz bei der FKS melden. Dafür braucht die beim Zoll angesiedelte Behörde aber deutlich mehr Personal. Der geplante Stellenaufwuchs muss schnell realisiert werden.

Mindestlohnkommission empfiehlt – Bundestag entscheidet

Wie geht es weiter mit dem Mindestlohn? Die von der Bundesregierung eingesetzte Mindestlohnkommission besteht aus sieben stimmberechtigten Mitgliedern: der Vorsitzenden der Kommission und je drei Vertreter*innen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, sowie aus zwei nicht stimmberechtigten wissenschaftlichen Mitgliedern. Laut Mindestlohngesetz wird der gesetzliche Mindestlohn alle zwei Jahre neu festgelegt. Im Juni 2023 hatten die Arbeitgeber in der Kommission zusammen mit der Vorsitzenden gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter*innen durchgesetzt, den gesetzlichen Mindestlohn in zwei Schritten zu erhöhen.

Demnach stieg der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2024 um nur 41 Cent auf 12,41 Euro, in einem zweiten Schritt wird er zum 1. Januar 2025 wieder um 41 Cent auf lediglich 12,82 Euro angehoben. Schon heute ist klar, dass diese beiden Erhöhungsschritte in keinem Fall zu einem existenzsichernden Mindestlohn führen. Die Mindestlohnkommission wird Mitte 2025 eine Empfehlung für die weitere Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ab 1. Januar 2026 aussprechen.

Öffentliche Investitionen erforderlich – auch um der Demokratie willen

Aktuell läuft bundesweit ein Überbietungswettbewerb in der Politik, wer den größten Druck auf Bürgergeldbeziehende und Geflüchtete ausübt. Allen voran die CDU, die verfassungswidrige Forderungen nach Bürgergeldstreichung zur rechten Profilierung betreibt.

Nötig sind Investitionen in Arbeit und in Qualifikation. Die Regierungskoalition hat hingegen ihre Planungen für den Bundeshaushalt vorgelegt, der unter anderem erhebliche Mittelkürzungen für die Arbeit in den Jobcentern vorsieht. Im Bund sollen die Mittel um 850 Mio Euro gekürzt werden, für das Jobcenter Münster bedeutet das 6,6 Mio Euro weniger im Gesamtbudget, was eine Kürzung um 17,7 Prozent bedeutet.

Dieses Bündel an Maßnahmen und Kürzungen wird als Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung verkauft. Unerwähnt bleibt, dass zum Beispiel in Münster den aktuell 2699 offenen Stellen über 14.000 Arbeitssuchende gegenüberstehen. Demnach gibt es rein statistisch keinen Grund, die Bezieher*innen von Bürgergeld mit Sanktionen und weniger Förderung zu drangsalieren. Die Kürzungen im sozialen Bereich verschärfen die gesellschaftliche Spaltung, statt dieser entgegenzuwirken. Für ein zukunftsgerichtetes Land braucht es einen handlungsfähigen Staat. Mehr statt weniger Investitionen in Bildung, in die Transformation der Wirtschaft, in Klimaschutz, in den Ausbau des ÖPNV, sowie in den Ausbau der sozialen Sicherheit und die soziale Infrastruktur – das ist das Gebot der Stunde!

Diese Kürzung bedeutet in jedem Fall weniger Spielräume für die lokale aktive Arbeitsmarktpolitik. Das bedeutet voraussichtlich unter anderem das langfristige Ende der öffentlich geförderten Beschäftigung sowie Einschränkungen bei der überall geforderten Weiterbildung. Der zumutbare Weg zur Arbeit soll auf drei Stunden täglich erhöht werden. Überstunden sollen steuerfrei ausgezahlt werden, was einerseits die Steuereinnahmen mindert und andererseits das Problem verwischt, dass die Mehrzahl der Überstunden (in 2023 laut statista.com 702 Millionen Stunden) gar nicht bezahlt werden. Über die minimale Kindergelderhöhung bei gleichzeitiger Erhöhung des Kinderfreibetrages werden sich in diesem Kontext wohl nur Besserverdienende freuen.

Statt die (extreme) Rechte zu stärken in die Demokratie investieren

Wer einerseits Ängste um die soziale Sicherheit schürt, nimmt in Kauf, dass der rechte Rand in unserer Gesellschaft immer größer wird, auch wenn dort keine Lösungen für die Probleme der Arbeitsuchenden und armen Menschen zu finden sind. Wer andererseits über leere Kassen klagt, sollte bei unseren Millionären und Milliardären um finanzielle Unterstützung anfragen, deren Vermögen sich allein bei den zehn reichsten auf 238,5 Milliarden Euro beläuft.

Die Schuldenbremse nicht auszusetzen und gleichzeitig eine Vermögens- und Finanztransaktionssteuer nicht in Betracht zu ziehen, so wie es die Ampel-Regierung tut, macht ein weiteres Mal deutlich, dass es nicht um soziale Gerechtigkeit und eine gerechte Lastenverteilung geht. Der demokratische Staat muss handlungsfähig bleiben und an den richtigen Stellen investieren – alles andere ist letztlich ein politisches Konjunkturprogramm für die extreme Rechte.

Was bewirkten die Massendemos gegen Rechts?

Anfang des Jahres demonstrierten Millionen Menschen gegen bekannt gewordene rassistische Deportationspläne, gegen Rassismus und eine Rechtsentwicklung, die immer mehr zugenommen hatte.
Zugleich ging es bei den Demos um sozialpolitische Forderungen, um mehr Solidarität mit Geflüchteten, um eine bunte und vielfältige Gesellschaft und um den Erhalt der Demokratie. Auch Anhänger von CDU und FDP beteiligten sich daran.

Auf die konkrete Tagespolitik hatten diese Demos jedoch kaum Einfluss: Heute steht die Forderung nach mehr Abschiebungen oben auf der politischen Tagesordnung, in den Talkshows und den Titelblättern (konservativer) Presseorgane. Das Bürgergeld steht unter Beschuss und die Empfänger*innen am Pranger, eine Kindergrundsicherung, die die Kleinsten aus der Armut holt, wird es auf unabsehbare Zeit nicht geben. Der Rechtsruck geht unterdessen weiter. Bei den Landtagswahlen im Osten hat sich gezeigt, dass die AfD (fast) überall stärkste Partei geworden ist.

Dabei ist jetzt ein Politikwechsel nötig für mehr Geld für Bildung, von der Kita bis zur Erwachsenenbildung, für mehr preiswerten Wohnraum, für mehr Tarifbindung, für höhere Löhne und Gehälter, für bessere Arbeitsbedingungen. Für eine solidarische Gesellschaft. Und für mehr historisch-politische Bildung.

1 Gastautor Carsten Peters ist stellvertretender DGB-Stadtverbandsvorsitzender.