Ein Feldversuch und Pilotprojekt, das die kontroverse Debatte zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ versachlichen könnte
Von Christoph Theligmann
Gut einhundert Menschen haben drei Jahre ein „Grundeinkommen“ bezogen. Ein zahlenmäßig kleines Experiment, welches dennoch wichtige Argumente geliefert hat und das eine kontroverse Debatte versachlichen kann.
Es sind nur 122 Menschen. Diese haben bis zum Mai 2024 drei Jahre lang Geld bekommen im Rahmen des Berliner Pilotprojekts Grundeinkommen. Angesichts von fast 84 Millionen Einwohnern in Deutschland ist die Zahl der Probanden äußerst gering. Natürlich taugt das Experiment nicht dazu, die Frage zu beantworten, ob man ein Grundeinkommen einführen sollte. Dennoch hat sich der Versuch der Berliner Initiative gelohnt. Er kann nämlich helfen, die Debatte um die Zukunft des Sozialstaats zu versachlichen.
Der Streit darüber, ob Menschen, die Geld vom Staat bekommen, Nichts-Tun-Menschen sind, ist so alt wie der Sozialstaat selbst. Er wurde schon ausgetragen, als Reichskanzler Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert erste Sozialgesetze durchsetzte. Er flammte erneut auf, als 1927 die Arbeitslosenversicherung eingeführt wurde. Und auch um das Elterngeld wurde gestritten genauso wie aktuell um das Bürgergeld.
Gegensätzliche Menschenbilder
Hinter den konträren Ansichten zum jeweiligen Thema stehen sich im Grunde zwei Menschenbilder gegenüber: auf der einen Seite steht die Überzeugung, der Mensch benötige nur die nötige Motivation, um von sich aus Dinge zu tun, die ihm und dann möglicherweise der ganzen Gesellschaft guttun. Die andere Seite sieht den Menschen als jemand an, der gerade so viel tut wie nötig, um gut zu überleben und nichts darüber hinaus macht, wenn er nicht muss. Für beide Auffassungen gibt es gute Argumente. Dabei zeigen Experimente und Forschung über staatliche Transferleistungen aus den vergangenen Jahren, wie nötig und nützlich Praxistests sind.
Eines dürfte die Befürworter des Grundeinkommens überrascht haben: Die aktuelle Forschung zeigt, was die Zahlung eines höheren Bürgergelds bewirkt. Arbeitslose Menschen wollen und werden schneller und motivierter wieder einen Job annehmen als zuvor. Umgekehrt dürfte es manchen Skeptiker bedingungsloser Zahlungen überraschen, dass Menschen – zum Beispiel bei einem bekanntgewordenen Experiment in Finnland vor einigen Jahren – mehr gearbeitet haben und zufriedener waren, auch wenn sie weniger Geld dafür bekommen hatten.
Gleichzeitig zeigt die Debatte ums Bürgergeld vor allem eines: In seiner jetzigen Form ist der Sozialstaat in einer tiefen Krise. Er kostet viel Geld und sorgt dennoch weder für subjektive Sicherheit bei den Menschen, noch löst er die Probleme der Wirtschaft.
Mehr Pilotprojekte wie das Berliner Grundeinkommen können klären,ob „nichts tun“ lediglich faul abhängen in der Hängematte bedeutet oder halt nicht. Solche Projekte können Antworten darauf geben, wie viel Vertrauen der Staat seinen Bürger*innen entgegenbringen sollte und wie viel er fordern kann. Der Staat kann herausfinden, was Menschen ohne Job wirklich zurück in den Arbeitsmarkt bringt. Sie können im Spektrum der gegensätzlichen Menschenbilder ausloten, wie viel Faulheit oder Verwirklichungsdrang in den Menschen steckt.
Der Sozialstaat steckt in einer tiefen Krise
Am Ende sollte nicht nur eine sachlichere Debatte stehen, sondern eine andere Sozialpolitik. Otto Bismarck wird gern folgender Satz zugeschrieben: „Alle menschlichen Einrichtungen sind unvollkommen – am allermeisten staatliche.“
Apropos andere Sozialpolitik: es sei darauf hingewiesen, dass schon heute die Hilfsbereitschaft bei kleinen und großen Katastrophen in der unmittelbaren Nachbarschaft am größten ist. Man denke nur an die Überflutungen nach heftigen Starkregen in der letzten Zeit.
Der Kommunalismus1 weist diesbezüglich auf Folgendes hin: Nur die lokale Gemeinschaft, die natürlich mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden muss, kann wegen der genauen Kenntnisse der gegebenen örtlichen Lebensverhältnisse neben der materiellen Absicherung des Lebens in der jeweiligen Gemeinschaft auch die Rechte der Menschen und die Teilhabe aller Einwohner garantieren.
Auch die Thematik und das Politikfeld Bedingungsloses Grundeinkommen gehört in kommunale Hände, und sollte keine übergeordnete staatliche Aufgabe sein.
1 (Murray-Bookchin-Gesellschaft – Europäische kommunalistische Vereinigung, c/o Werner Szybalski, Münster)
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