Verlag aus Münster fördert die Teilhabe von Menschen, die nicht lesen können
Von Arnold Voskamp
In Deutschland gibt es über 6 Millionen Menschen, die nicht lesen und schreiben können, oder sie können einzelne Worte oder Sätze, aber kaum einen ganzen Text verstehen. Eine weitere ebenso große Gruppe von Menschen tut sich schwer, einen ganzen zusammenhängenden Text zu lesen. Viele brauchen Hilfe beim Ausfüllen eines Formulars oder beim Lesen vom Beipackzettel eines Medikaments. Der Spaß am Lesen Verlag in Münster bietet speziell für diese Menschen ein ständig wachsendes Angebot an leichter lesbaren Büchern und Zeitungen. Im Oktober hat der Verlag auf der Frankfurter Buchmesse einen Preis bekommen. Wofür, und wie ist es dazu gekommen?
Aminata ist etwas über 20 Jahre alt, als sie nach Deutschland kommt. Sie spricht kein Deutsch, ja sie kann nicht mal lesen und schreiben. Wegen eines Problems in der Familie war sie die Einzige unter ihren Geschwistern, die nicht zur Schule geschickt wurde. Darüber ist sie sehr traurig. Aminata will lesen und schreiben lernen, damit sie hier arbeiten kann. es gibt spezielle Deutsch-Integrationskurse für Analphabeten, Aminata muss jedoch lange darauf warten. so habe ich fast täglich mit ihr lesen und schreiben geübt.
Analphabeten
Eine Leseschwäche werden meist eingewanderte, geflüchtete Menschen haben, denken viele. Jedoch übersieht das die größere Gruppe, der hier geborenen deutschen Menschen: Es gibt auch Menschen mit einer Behinderung oder Menschen mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legastheniker) oder alte Menschen, die nie zum Lesen gefunden haben.
Aminata will lernen, sie kommt gut voran. Eine Hilfe waren dabei „kleine“ Bücher aus der Stadtbücherei, die sich an Jugendliche und Erwachsene richten – mit anspruchsvollen Themen, aber in Leichter oder in Einfacher Sprache geschrieben. Die Bücher sind also nicht in Kindersprache geschrieben. Alle diese Bücher erscheinen beim Spaß am Lesen Verlag hier vor Ort in Münster.
„Leichte Sprache“ soll Menschen mit geringen sprachlichen Fähigkeiten das Verstehen von Texten vereinfachen. Leichte Sprache heißt: „Zusammen-gesetzte“ Wörter bekommen einen Bindestrich. Es gibt nur Hauptsätze. Die Sprache benutzt nur Aktiv und kein Passiv und so weiter.
Einfache Sprache übersetzt: Das geht schon hoch hinaus.
Der Spaß am Lesen Verlag bemüht sich, den Reiz an Büchern zu wecken. Die Auswahl der Bücher besteht meist aus Büchern aus dem allgemeinen Buchmarkt, angepasst an die Lesefähigkeiten von „gering literarisierten Menschen“. Bücher in normaler Sprache werden „übersetzt“, die Sprache und die Plots werden so einfacher, Zeitsprünge und Rückblenden vermieden. Die Übersetzungen sind oft von Autoren geschrieben, die selbst einen hohen literarischen Anspruch haben und es verstehen, eine Geschichte zu einem Buch zu machen.
Eine anfängliche Kritik war: das Vereinfachen verblödet die deutsche Sprache. Jedoch gibt es auch diese Rückmeldungen: „Das war das erste Mal, dass ich ein ganzes Buch gelesen habe.“ In vielen Fällen wird ein solches Erfolgserlebnis dazu führen, ein zweites oder weiteres Buch in die Hand zu nehmen.
Bekannte Namen sind im Spaß am Lesen Verlag vertreten
Im Verlagsprogramm finden sich Bücher zu bekannten Filmen oder literarischen Bestsellern. Sie können zum Lesen verführen. „Ziemlich beste Freunde“ war als Film ein großer Erfolg. Es ist die Geschichte des querschnitts-gelähmten Philippe Pozzo di Borgo und seines Pflegers. Als Buch in einfacher Sprache hatte das 2013 für den Verlag den Durchbruch gebracht. Höchstpersönlich hatte sich Wolfgang Herrndorf dafür eingesetzt, dass sein Buch „Tschik“ in einfacher Sprache herauskommt, es ist heute der Bestseller im Verlag. Sebastian Fitzek hat gern die Lizenz für seine Krimis gegeben. Heute ist er Schirmherr für Alphabetisierung. Auch der erfolgreich verfilmte Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens ist im Verlag erschienen.
Neben Romanen sind inzwischen verschiedene Sachbücher im Programm des Verlages. Die leicht lesbare Zeitung „Klar & Deutlich“ erscheint gedruckt einmal im Monat, außerdem gibt es zwei digitale Wochenzeitungen.
Deutscher Verlagspreis 2024
Der Name Spaß am Lesen Verlag beschreibt ein hohes Ziel für einen Buchverlag, der Menschen das Lesen nahebringen will, welche bislang großen Abstand dazu gehabt haben. Der Verlag ermöglicht ihnen mithilfe vereinfachter Sprache den Zugang zur Literatur und damit die Teilhabe an der Gesellschaft. Für sein Programm hat die deutsche Staatsministerin für Kultur Claudia Roth auf der Frankfurter Buchmesse 2024 dem Verlag den Deutschen Verlagspreis verliehen.
Das Entstehen des Verlages ist mit dem Namen und der Geschichte von Ralf Beekveldt, dem Gründer, verbunden. Er hatte in Holland als Journalist mehrfach über Einrichtungen für behinderte Menschen berichtet. Dabei fragte er sich, ob er nur über sie berichtet oder wie er etwas dafür tun kann, dass sie bessere Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe finden. Vor 30 Jahren begann er Bücher in vereinfachter Sprache auf den Markt zu bringen – in Holland. Vor 15 Jahren ist der deutsche Markt dazugekommen, zudem auch England, Belgien und Spanien. Das Geschäft war anfangs sehr mühsam. „Wenn ich Bücher verkaufen will an Menschen, die nicht lesen wollen, „das ist, als wollte ich in Grönland Kühlschränke verkaufen.“
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