Die großen Sozialverbände sind sich seit langem einig: Der momentane Hartz IV-Satz reicht schon nicht aus, den monatlichen Lebensunterhalt menschenwürdig zu bestreiten. Wenn dann auch noch die Waschmaschine kaputtgeht oder der Kühlschrank, ist finanziell endgültig Schicht im Schacht. Leistungsempfänger sind dann gezwungen, beim Jobcenter ein Darlehen aufzunehmen. Ihre Zahl ist in den letzten vier Jahren um 20 Prozent gestiegen, wie eine aktuelle Anfrage der LINKEN im Bundestag bei der Bundesagentur für Arbeit ergeben hat.
2014 gewährte das Jobcenter im Schnitt 18.700 Kredite pro Monat, berichtet unter anderem die Tageszeitung jungeWelt. Gemittelt belief sich die Höhe auf 365 Euro pro Darlehen. Das seien gut hundert Euro mehr als noch vor fünf Jahren, ergänzt Spiegel Online. „Die Vergabe von Darlehen an Hartz IV-Empfänger durch die Jobcenter belegt, dass die Höhe der Hartz IV-Regelsätze nicht ausreicht, um die Grundsicherung des Lebensunterhaltes zu gewährleisten“, stellte Sabine Zimmermann, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, bereits vor zwei Jahren auf der Internetseite der Partei fest. „Durch die steigende Gewährung der Darlehen erbringt das Hartz IV-System selber den Beweis, dass die Regelleistung prinzipiell viel zu niedrig angesetzt ist.“
Die rot-grüne Koalition hatte mit der „Agenda 2010“ das System der Sozialhilfe gründlich umgemodelt. Unter anderem müssen die Leistungsempfänger seitdem jeden Monat einen festgelegten Betrag für außergewöhnliche Ausgaben zurücklegen, im Hartz IV-Jargon „ansparen“ genannt. Dazu gehören zum Beispiel eine neue Brille oder eben auch langlebige Konsumgüter wie ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine, aber auch ein Fahrrad fürs Kind. Bis zur sogenannten rot-grünen Hartz IV-Reform konnten Leistungsempfänger das Geld für solche Sonderausgaben außer der Reihe beim Sozialamt beantragen.
Das Ansparen gelingt nur den wenigsten, denn grau ist alle Theorie. In der Praxis haben Hartz IV-Gemeinschaften am Ende des Monats so gut wie nie Geld übrig, dass sie für größere Anschaffungen zurücklegen könnten. Wenn drei Tage vor dem Ersten nur noch zehn Euro im Portemonnaie sind und die Tochter unerwartet einen neuen Füllfederhalter für die Schule braucht, ist der beste Haushaltsplan über den Haufen geworfen. Manche Ausgaben erlauben eben keinen Aufschub.
Einige Leistungsempfänger können am Anfang bei Sonderausgaben noch auf Rücklagen aus der Zeit vor der Arbeitslosigkeit zurückgreifen. 150 Euro pro Lebensjahr sind als Sparguthaben erlaubt. Doch irgendwann ist der Notgroschen aufgebraucht und Langzeitarbeitslose können fortan täglich dabei zuschauen, wie sich nach und nach der Hausstand auflöst. Hier bricht ein altersschwaches Regal zusammen, dort gibt der Staubsauger seinen Geist auf – für beides müssen sie selbst aufkommen.
Im Regelsatz von 399 Euro pro Monat sind nämlich laut Gesetz 30,24 Euro für Möbel und Haushaltsgegenstände vorgesehen. „Im Alltag löst jede defekte Waschmaschine oder jede andere unvorhergesehene Ausgabe einen sofortigen Engpass aus“, schreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband in einer Broschüre zu „Zehn Jahre Hartz IV“.
Die deutschen Gerichte haben allerdings in der Vergangenheit Ausnahmen zugelassen. Wenn etwa ein Kinderbett zu klein geworden ist, muss das Jobcenter ein neues, größeres bezahlen. Die Baby-Erstausstattung gehört ebenfalls zu den Sonderausgaben, die das Jobcenter übernehmen muss. Und wenn die Kinder in die Schule kommen, können Eltern beim Amt einen Schreibtisch beantragen.
Wer aber schlecht sieht und sich aus Versehen auf die Brille setzt, ist arm dran, denn die Ära der „Kassenbrille“ ist seit der rot-grünen Gesundheitsreform unter Gerhard Schröder vorbei: Für das Gestell zahlt die Krankenkasse keinen Cent mehr, bei den Gläsern allein noch die allerbilligsten. Das Jobcenter springt nur ein, wenn es sich um eine chronische Augenkrankheit handelt oder eine erhebliche Sehbehinderung. Kurz- und Weitsichtigkeit zählen nicht dazu.
„Die Menschen müssen auf Darlehen zurückgreifen“, so Sabine Zimmermann von den LINKEN vor zwei Jahren. Beim Jobcenter muss der Kredit, wenn er denn überhaupt gewährt wird, mit einer Tilgungsrate von monatlich zehn Prozent zurückgezahlt werden, normalerweise also 39 Euro pro Monat. „Den Betroffenen (steht) dieser Betrag dann natürlich zum Bestreiten der anfallenden regelmäßigen monatlichen Ausgaben nicht zur Verfügung.“
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