Urteile

Rechtsvereinfachungen und die Folgen

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) schickt mit ihrer „Rechtsvereinfachung“ einen vielversprechenden Anwärter auf das Unwort des Jahres ins Rennen.
Die Voraussetzungen dafür bringt es jedenfalls mit: Klingt prima, soll sogar mehr Kapazitäten in der Arbeitsvermittlung durch Bürokratieabbau in der Grundsicherung für Arbeitssuchende schaffen und kaschiert mehr oder weniger elegant die Ausweitung der Möglichkeiten zur Bestrafung von Hartz-IV-Empfängern.

Zur Übersicht:

Vor August 2016:
Sanktionen nach §31 bei Pflichtverletzungen des Leistungsempfängers während des Bezugs von Hartz IV für 3 Monate (Kürzung des Regelbedarfs um 30, bei wiederholtem Verstoß um 60 Prozent.)

Rückforderung gezahlter Leistungen nach §34 bei sozialwidrigem Verhalten, d.h. vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung der Hilfsbedürftigkeit vor dem Hartz-IV-Bezug.

Nach August 2016:
Die Regelung für Sanktionen nach §31 gilt unverändert.

§34 ist erweitert worden: Sozialwidriges Verhalten umfasst nun zusätzlich die Aufrechterhaltung oder gar Erhöhung der Hilfsbedürftigkeit während des Leistungsbezugs.

Bedeutet:

Ein Anspruch des Jobcenters auf Rückforderungen kann nun auch während des Bezugs von Leistungen entstehen und somit in Kombination mit Sanktionen zu einer doppelten Bestrafung führen. Dies geht aus der aktuellen Dienstanweisung der BA klar hervor, die hier abrufbar ist (Seite 6/15 unten).

Da Rückforderungen in der Regel vom Hartz IV-Empfänger nicht auf einen Schlag begleichbar sind, können sie mit 30 Prozent auf den Regelbedarf angerechnet werden; und das über einen Zeitraum von 3 Jahren! Von 404€ bleiben dann in dieser Zeit 283€. Danach steht einer weiteren Rückforderung durch Fehlverhalten während des Hartz IV-Bezugs grundsätzlich nichts im Wege, wenn dieses z.B. darin besteht, daß die alleinerziehende Leistungsempfängerin den unterhaltspflichtigen Vater noch immer nicht preisgibt.
Ob bei gleichzeitiger Verhängung von Rückforderungen und Sanktionen nun gleich 60 Prozent der Bezüge einbehalten werden dürfen, ist der internen Anweisung für die Ämter nicht explizit zu entnehmen. Wahrscheinlich ist, daß die Sachbearbeiter, inspiriert durch schwammige Begriffe wie (fehlende) „wichtige Gründe“, „sozialwidriges“ oder „schuldhaftes“ Verhalten, nach eigenem Ermessen entscheiden werden.

Selbst Essensgutscheine oder gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge können rückgefordert werden und die Frage stellt sich, was mit „verfassungsrechtlich garantiertem Existenzminimum“ wirklich gemeint sein könnte. Daß die Sozialgerichte durch diese „Rechtsvereinfachungen“ entlastet werden, ist jedenfalls nicht zu erwarten. Daß sie in dieser Form eine unzumutbare Mehrbelastung für die Ämter bedeuten, daran läßt deren Personalrat in seiner Stellungnahme schon jetzt keinerlei Zweifel.

Stellung beziehen können aber auch diejenigen, die es in erster Linie betrifft und die es auszubaden haben: die Hartz IV-Empfänger. Inge Hannemann (die als Jobcoach beim Hamburger Jobcenter gearbeitet hat und 2013 vom Dienst freigestellt wurde, weil sie ihren Ermessensspielraum bei der Verhängung von Sanktionen nicht im Sinne ihres Arbeitgebers nutzte) bietet auf ihrer Website eine Verfassungsbeschwerde gegen das 9. SGB II-Änderungsgesetz zum Download an!

Der Sanktionskatalog ab 1. August 2016 geht im übrigen natürlich über die oben vorgestellten Änderungen hinaus und umfaßt nun  z.B. Geldstrafen nicht nur für falsche Angaben bei der Festsetzung von Leistungen. Auch wenn diese unvollständig, nicht rechtzeitig oder auch gar nicht erfolgt sind, können bis zu 5000 € Strafe verlangt werden.