Zum Leben zu wenig

Weniger als nichts

Warum auch Arbeitnehmer*innen und Erwerbslose mit der Alternative für Deutschland nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren haben

Von Robert Martschinke

Auch Erwerbslose und Geringverdiener*innen haben bei der Landtagswahl im Mai die selbsternannte Alternative für Deutschland, kurz AfD, gewählt und werden dies wohl auch bei der anstehenden Bundestagswahl im September tun. Aus welchen Gründen auch immer. Indes: Eigeninteresse kann das Motiv nicht sein, wie ein Blick ins Wahlprogramm* der neuen Partei zeigt.

Diese macht nämlich – entgegen der Reklameslogans von Gauland, Petry, Weidel & Co. – keineswegs Politik für die „kleinen Leute“. Im Gegenteil: Wer Sozialleistungen bezieht oder mit seinem Lohn gerade so über die Runden kommt, hat sogar allen Grund, sich vor der AfD zu fürchten. Das zeigen beispielhaft die Aussagen des AfD-Wahlprogramms zu folgenden fünf Themen:

1. Mindestlohn

Die AfD „befürwortet“ zwar einen gesetzlich verankerten Mindestlohn für Arbeitnehmer*innen (Wahlprogramm, Kapitel 10.3), hütet sich aber, eine konkrete Zahl zu nennen. (Die Partei Die Linke etwa fordert dagegen klipp und klar zwölf Euro – mindestens.) Hierbei geht es der AfD allerdings keineswegs um eine gerechtere Entlohnung der Arbeitnehmer*innen, um eine angemessene Wertschätzung der individuell geleisteten Arbeit, sondern lediglich darum, eine – wortwörtlich – „sehr bescheidene Altersversorgung“ zu gewährleisten, damit Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht per Sozialleistungen von „der Gesellschaft“ unterstützt werden müssten. Außerdem soll der nicht festgelegte Mindestlohn, der somit durchaus auch niedriger als der aktuelle ausfallen könnte, die Empfänger*innen zum Kindermachen animieren. Wie bitte? Niedrigstlohn als Aphrodisiakum, damit in Zukunft möglichst noch mehr Kinder in Armut aufwachsen? Die AfD hält ihre (potenziellen) Wähler offenbar für ziemlich pervers – oder schlichtweg für blöd.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, die bereits seit Jahren diskutiert wird, wird im AfD-Programm überhaupt nicht erst in Betracht gezogen.

2. Leih- und Zeitarbeit

Die AfD fordert „eine gesetzliche Obergrenze von 15 Prozent Beschäftigten mit Leih- oder Werkverträgen in Unternehmen“ (Kapitel 10.3). Von solchen Verhältnissen sind wir glücklicherweise noch weit, weit entfernt. (Und bleiben es hoffentlich auch: Derzeit sind immerhin schon „knapp vier Prozent“ aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Leih- bzw. Zeitarbeitnehmer*innen. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken an die Bundesregierung hervor.)
Im Endeffekt hätte die AfD also nichts dagegen, wenn jede(r) sechste bis siebte Arbeitnehmer*in in Deutschland als Mietmalocher*in bei einem sogenannten Personaldienstleistungsunternehmen angestellt wäre. Dies würde eine weitere, massive Ausweitung des Niedriglohnsektors bedeuten, inklusive aller hinlänglich bekannten fiesen Folgen.

Dazu passt allerdings, dass die AfD generell für weitestgehende Deregulierung in der Wirtschaft eintritt (10.5). Deregulierung bedeutet nichts anderes als noch mehr Macht und Freiheit für Arbeitgeber wie Staat gegenüber Arbeitnehmern, also noch weniger Macht und Freiheit für Letztere. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, auf wessen Seite die AfD beim Verteilungskampf Arm gegen Reich steht. Was an dieser Zuspitzung bereits bestehender unsozialer Verhältnisse alternativ sein soll, bleibt ihr Geheimnis.

3. Und die Erwerbslosen?

Bei von Arbeitsagentur bzw. Jobcentern getragenen Eingliederungs- und Qualifizierungsmaßnahmen von Erwerbsarbeitslosen plädiert die AfD derweil für eine „bedarfsangepasste Qualifizierung“, und zwar „in enger Abstimmung insbesondere mit der mittelständischen Wirtschaft“ (10.4). Im Klartext: Eine berufliche Um- oder Weiterbildung findet bestenfalls noch statt, wo es ausreichend freie, zu besetzende Stellen gibt. Das berufliche Interesse, die Neigungen und Talente der/des Erwerbslosen spielen keinerlei Rolle. Man/frau soll nur noch das können und wissen, was vom Arbeitgeber gewinnbringend verwertet werden kann. Insbesondere für Menschen, die – sei es, weil sie alleinerziehend sind, sei es aus gesundheitlichen Gründen – dem „Arbeitsmarkt“ nur eingeschränkt zur Verfügung stehen, bedeutet dies eine weitere radikale Verschlechterung ihrer Chancen auf einen erträglichen, halbwegs einträglichen Job.

Arbeitslosengeld I und II (ALG I und ALG II) finden nirgendwo im Parteiprogramm Erwähnung. Es besteht jedoch keinerlei Grund zu der Annahme, dass die AfD an den Rahmenbedingungen – Höhe der Regelsätze, Bezugsdauer, Sanktionsregime der Jobcenter – irgendetwas zu ändern gedenkt. Und wenn, dann keinesfalls zugunsten der Betroffenen.

4. Die große „Steuerreform“

Steuern dienen der sozial verträglichen Umverteilung und bilden die finanzielle Grundlage für die Handlungsfähigkeit des Staates. Die AfD fordert eine große „Steuerreform“. Wie die allerdings aussehen soll, wird komplett verschwiegen. Zwar plädiert man für Steuersenkungen sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, sagt aber weder, in welchem Umfang, noch, wie der Steuerausfall finanziell aufgefangen werden soll. Eins jedoch steht felsenfest: Erbschaft- und Vermögensteuer – unverzichtbare Elemente, um die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben wenigstens zu entschleunigen – lehnt die AfD kategorisch ab. (10.1) Große Vermögen werden verschont bzw. dürfen unbegrenzt weiter anwachsen. Generation um Generation um Generation.

5. Frauen? – Pustekuchen!

Was man bei der AfD von Emanzipation und geschlechtlicher Gleichberechtigung hält, ist hinlänglich bekannt. Frauen gehören zu Hause an den Herd und ins Bett, damit sie möglichst viel Nachwuchs produzieren (s. o.), den sie dann unentgeldlich, weil ohne Entlohnung, zu zukünftigen Arbeitnehmer*innen heranziehen. Frauen, die als Arbeitnehmerinnen Geld verdienen (müssen), steht daher nach Ansicht der AfD auch nicht derselbe Lohn wie den männlichen Kollegen zu. So dumm, dies ausdrücklich zu fordern, ist man zwar nicht, jedoch spricht sich die Partei explizit beispielsweise gegen den Equal Pay Day aus, an dem jährlich die Forderung nach geschlechterübergreifender Lohngerechtigkeit erneuert wird, was letztendlich auf dasselbe hinaus läuft: Gleicher Lohn, gleiche Rechte für Frauen bei der rechtspopulistischen Partei? Pustekuchen! (7.5)

Fazit

Wo die AfD Macht, Hoheit und Kontrolle ausübt, haben auch Arbeitnehmer*innen, besonders im Niedriglohnsektor, „Geringqualifizierte“ und Erwerbslose noch weniger zu lachen als jetzt schon. Keine verbindliche Aussage zum Mindestlohn, kein Ende der Benachteiligung von (arbeitenden) Frauen, keinerlei Erleichterungen für Transferleistungsbezieher*innen. Stattdessen Stärkung der Macht von Arbeitgeber*innen, Banken, Kapital und Industrie, eine ausdrückliche Befürwortung der Ausweitung des Niedriglohnsektors mit seinen unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Ebenso ausdrücklich akzeptieren die Rechtspopulisten die sich daraus ergebende massenhafte Altersarmut, massive Kürzungen bei Weiterbildungen und Umschulungen für Arbeitnehmer*innen und Erwerblose. Dazu kommen massive Kürzungen im öffentlichen und sozialen Sektor zugunsten von Steuererleichterungen primär für diejenigen, die keine Ahnung haben, was es heißt, vorm Monatsende ohne Geld dazustehen.

Wer beabsichtigt, diese Partei in den Bundestag zu wählen, sollte sich der möglichen Folgen bewusst sein. Wer es dennoch tut, handelt letztlich gegen die eigenen politischen, sozialen und nicht zuletzt seine handfesten wirtschaftlichen und finanziellen Interessen. Aus welchen Gründen auch immer.

* Programm für die Wahl zum deutschen Bundestag am 24. September 2017. Leitantrag der Bundesprogrammkommission zum Bundesparteitag am 22./23.04.2017 in Köln.