Am 1. August 2019 sind Änderungen bei dem sogenannten „Bildungs- und Teilhabepaket“ (BuT) in Kraft getreten, wonach Kinder und Jugendliche aus einkommensarmen Haushalten etwas mehr Geld für Ausgaben im Bereich Schule und für Freizeitaktivitäten bekommen können.
„Nur ist das Geld aus dem Bildungspaket – das es seit 2011 gibt – wegen absurder bürokratischer Hürden bisher selten bei den Kindern angekommen“, kritisiert das Bündnis „AufRecht bestehen“ und die „Nationale Armutskonferenz“ (NAK) in einer gemeinsamen Presseerklärung. „Um diesen Missstand zu beenden“, fordern sie die Kommunalpolitiker*innen und Sozialverwaltungen „nun zum Handeln auf“.
Von Kindern und Jugendlichen wird verlangt, sich „als Hartz-IV“ zu outen
Bisher musste für fast alle Leistungen des BuT (z.B. Klassenfahrten oder Schulmittagessen) ein umfangreicher Antrag gestellt werden und zwar bevor die Leistung benötigt wurde – also bevor beispielsweise die Klassenfahrt stattfand. Bei einem zu spät eingereichten Antrag gab es keine Leistung.
Zudem werden die BuT-Leistungen bisher zum größten Teil in Form von Gutscheinen angeboten bzw. direkt mit den Leistungsanbietern – z.B. Schulen oder Sportvereine – abgerechnet (Nur der Zuschuss zum Kauf von Schulmaterial wird direkt an die 6- bis 15-jährigen Hartz-IV-berechtigten Schüler*innen überwiesen). Dieses „Sach- und Dienstleistungssystem“ erzeugt viel Unmut bei allen Beteiligten. Von den Kindern und Jugendlichen verlangt es, dass sie sich mit den Gutscheinen in Schule oder Sportverein zwangsläufig „als Hartz-IV“ outen müssen, kritisieren die Bündnispartner*innen. Und weiter: „Von Schulen, Vereinen und den Behörden verlangt es viel überflüssige Arbeit. Mit dem Wust an Vorschriften und Formularen kommt niemand zurecht – nicht einmal die Ämter. Infolgedessen kam (und kommt) das Bildungspaket bei den Kindern gar nicht an.“
72 Prozent der Berechtigten stellten keinen Antrag
In den vergangenen Jahren wurden die Leistungen nur für einen Bruchteil der berechtigten Kinder abgerufen. Die Bundesagentur für Arbeit bilanziert, dass im Jahr 2018 lediglich für 670.000 Kinder, die Hartz-IV bezogen, eine oder mehrere Leistungen aus dem Bildungspaket beantragt wurden. Das sind gerade mal 28 Prozent von 2,5 Millionen Kindern, die Hartz IV beziehen – oder anders herum: 72 Prozent der Berechtigten stellten keinen Antrag und gingen leer aus.
Allerdings gibt es eine Ausnahme: Bei den 6- bis 15-Jährigen kamen die BuT-Leistungen für Schulmaterial in 84 Prozent der Fälle an – dieser Gruppe wird das Geld ohne besonderen Antrag vom Jobcenter direkt auf das Konto überwiesen.
Trotzdem: die „durchschnittliche Quote bewilligter Anträge und festgestellter Ansprüche ist niederschmetternd gering“ stellte der Paritätische Wohlfahrtsverband im September 2018 in einer Studie fest und veröffentlichte bundesweite Zahlen für die einzelnen Kommunen.
Die Kritik scheint nun auch beim Gesetzgeber angekommen zu sein, der mit der Änderung zum 1. August 2019 nicht nur einzelne Leistungen des BuT erhöht (z.B. gibt es nun 150 € anstatt bisher 100 € jährlich für Schulmaterial), sondern auch die Vergabebedingungen verbessert.
Die Forderung lautet, die örtlichen Richtlinien zum BuT kurzfristig ändern und alle Leistungen als Geldzahlung direkt an die Eltern erbringen
Außer für die Lernförderung ist nun kein besonderer Antrag für jede einzelne Leistung mehr erforderlich. Zukünftig können – wenn einmal ein Hartz-IV-, Kinderzuschlag- oder Wohngeld-Antrag gestellt ist – die benötigten BuT-Leistungen bei Vorlage eines Nachweises beim zuständigen Amt abgerufen werden – auch nachträglich.
Zudem ist die Gewährung der Leistungen in Form von Gutscheinen oder Zahlung an die Leistungsanbieter im Gesetz nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Jetzt ist es den Städten und Gemeinden, die die BuT-Leistungen bewilligen, auch möglich, diese als Geldzahlung zu gewähren.
Die Trägheit der Sozialverwaltungen kennend, fordert das Bündnis „AufRecht bestehen“ die Kommunalpolitiker*innen nun auf, die örtlichen Richtlinien zum BuT kurzfristig zu ändern und alle Leistungen als Geldzahlung direkt an die Eltern zu erbringen.
„Nur dies gewährleistet ein möglichst unbürokratisches Verfahren, mit dem Kindern und Familien signalisiert wird, dass Politik und Verwaltung sie tatsächlich unterstützen und ihnen die Mittel für Bildung und Teilhabe in die Hand geben wollen. Und da die niedrigschwelligen Vergaberichtlinien wohl nicht sofort erarbeitet werden (können), sollen sie rückwirkend zum 1.8.2019 in Kraft gesetzt werden, um es den Berechtigten so zu ermöglichen, auch nachträglich Geldzahlungen für benötigte BuT-Leistungen zu erhalten“, so das Bündnis.
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