In Münster wird diskutiert, wie sich negativen Auswirkungen auf die Gesundheit begegnen lässt
Von Regina Ioffe
Arme Menschen sterben eher – diese Erkenntnis ist nicht neu. Die Gründe dafür sind ebenfalls weitgehend bekannt. Doch welche Gegenmaßnahmen sind nicht nur allgemein, sondern ganz genau vor Ort geeignet, um an dem Gesundheitsstatus vor Ort etwas zu ändern? Die Stadt Münster, Mitglied im „Gesunde-Städte Netzwerk“ arbeitet an einem Handlungsprogramm.
Ende August 2023 fand in Münster die Konferenz „Gesundheit für alle – Gemeinsam die gesunde Stadt gestalten“ statt. Sie wurde im Rahmen eines Projektes am Institut für Geographie der Universität Münster unter der Leitung von Professorin Dr. Iris Dzudzek organisiert, die 2018 den Universitätspreis für exzellente Lehre der Goethe Universität Frankfurt verliehen bekam. An der Konferenz beteiligten sich folgende Vertreter von Wissenschaft und Verwaltung: für die Stadt Münster Oberbürgermeister Markus Lewe, Robin Denstorff (Dezernent für Planung, Bau und Wirtschaft), Cornelia Wilkens (Dezernentin für Soziales, Integration, Kultur und Sport) und Dr. Matthias Schmidt (Geschäftsführung im Arbeitskreis Nachhaltige Stadtentwicklung) sowie außerdem Nikolaj Salzmann (Berater Lebenswelten der Techniker Krankenkasse) und Prof. Dr. Heike Köckler (Hochschule für Gesundheit Bochum).
Unterschiede bestehen sogar schon zwischen einzelnen Stadtteilen
Aus Studien in den USA ist bekannt, dass Armut negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat und dass arme Menschen in Stadtteilen mit mehr Schadstoffen in der Umwelt leben. Studien des Robert-Koch-Instituts (KiGGS und GEDA) zeigen auch für Deutschland Unterschiede bei Gesundheit und Lebenserwartung von Menschen in Abhängigkeit von deren sozio-ökonomischem Status. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in armen Kommunen in Deutschland bezogen auf jeweils alle Einwohner fünf Jahre niedriger als in reichen Kommunen.
Noch stärkere Diskrepanzen treten zwischen einzelnen Stadtteilen auf: In armen Stadtteilen ist die durchschnittliche Lebenserwartung um bis zu 12 Jahre gegenüber reichen Stadtteilen verkürzt. Das hat natürlich Gründe: Häufig leben einkommensschwache Menschen in Stadtteilen mit mehreren ungünstigen Faktoren. Die Chancen, ein gesundes Leben zu führen, sind also ungleich verteilt. Im Vortrag erwähnte Dzudzek Daten von ausländischen Forschern, wonach die Gesundheit zu 21 Prozent von der Genetik bzw. Biologie bestimmt wird und zu 38 Prozent vom individuellen Verhalten, Lebensstil. Die weiteren Faktoren sind zu 7 Prozent physisches Umfeld (zum Beispiel Qualität einer Wohnung oder eines Hauses), 11 Prozent medizinische Versorgung, 23 Prozent soziale Determinanten.
Dzudzek zeigte in ihrem Vortrag aber auch, dass die Gesundheit gefördert werden kann sowohl auf dem individuellen Niveau durch Verhaltensänderungen (Bewegung, Ernährung, Verzicht auf das Rauchen) als auch auf dem gesellschaftlichen Niveau (Wohnen, Arbeiten, Einkommen, Bildung, urbanes Grün, Stressreduktion durch Bekämpfung der gesellschaftlichen Diskriminierung und Stressreduktion und psychische Widerstandsfähigkeit durch Möglichkeiten der sozialen Teilhabe). Lebensverhältnisse, die in Verantwortung des lokalen Staates, der Stadt und der Zivilgesellschaft liegen, beeinflussen insgesamt bis zu 41 Prozent die Gesundheit einer Person. Krankmachenden Verhältnissen wie Lärm, Luftschadstoffe, fehlende Grün- und Freiflächen oder soziale Benachteiligung sind zunehmend ärmere Menschen ausgesetzt.
Handlungsprogramm für Münster bis zum Jahr 2026
Münster gehört zum Gesunde-Städte-Netzwerk. 2022 und 2023 erfolgte eine Identifikation von möglichen Handlungsfeldern auf der gesamtstädtischen Ebene und auf der Ebene von einzelnen Stadtteilen wie Berg Fidel, Coerde oder Hansaviertel mit der Befragung von Einwohner*innen. Zum Jahr 2026 soll ein kommunales Handlungsprogramm erarbeitet werden. Stadtteile wie Berg Fidel und Coerde stehen nicht zufällig auf der Liste mit Handlungsbedarf.
In Münster gibt es leider eine Häufung von Gesundheitsproblemen, die schon Kinder betreffen, wie Schuleingangsuntersuchungen zeigen. So nehmen Kindergarten Kinder aus Stadtteilen wie Berg Fidel, Coerde, Kinderhaus-West und Angelmodde leider Spitzenpositionen auf der Rangliste für behandlungsbedürftige Karies ein, was möglicherweise auf falsche Ernährung hinweist. Stadtteile wie Coerde, St. Josef, Kinderhaus-Ost und Kinderhaus-West, Hiltrup-Mitte und Hiltrup-Ost haben höhere Anteile von Kita-Kindern, deren Gewicht über der Altersnorm liegt (in dem Bereich von Übergewicht oder sogar Adipositas).
Der Anteil der Kinder, die zur Schuleingangsuntersuchung noch nicht schwimmen können, ist am höchsten in Coerde, Berg Fidel und Kinderhaus-West.
Damit befinden sich die bedenklichen Daten von Schuleingangsuntersuchungen aus Münster in Übereinstimmung mit anderen Erhebungen in Deutschland.
Dr. Lars Handrich von der DIW Econ GmbH schreibt 2023 in seiner Kurzexpertise für die Diakonie Deutschland*:
„Im Folgekostenbereich Gesundheit liegt beispielsweise für armutsbetroffene Kinder das Risiko höher, gesundheitliche Probleme zu entwickeln und deshalb langfristig arbeitsunfähig zu werden oder Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen zu müssen. Alleine die direkten und indirekten Kosten im Zusammenhang mit Adipositas, deren Risiko mit Kinderarmut steigt, lagen 2016 bei jährlich mehr als 60 Milliarden Euro (Effertz, Engel, Frank, & Linder, 2016).“
Ein weiteres Zitat**:
„Leben Haushalte in Armut, so hat dies einen direkten Einfluss auf die Gesundheit der Haushalte und der darin lebenden Kinder. Oft kommt es zu einer Kumulation von Gesundheitsrisiken. Kinder aus armen Haushalten treiben beispielsweise weniger Sport… So können Eltern aus den einkommensschwächsten Haushalten etwa zehnmal weniger Geld für Medikamente, Arztkosten und therapeutische Angebote ausgeben als Eltern aus den einkommensstärksten Verhältnissen (iwd, 2022).
Armut wirkt sich auch auf die Ernährungsweise der betroffenen Kinder aus… Im Ergebnis sind Kinder und Jugendliche aus prekären sozialen Milieus eher übergewichtig und von Adipositas betroffen als Kinder aus gehobenen Milieus (HBSC-Studienverband Deutschland, 2020). Auch Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck treten häufiger in armutsgefährdeten Haushalten auf als im Bevölkerungsdurchschnitt (…).“
Erste erfolgreiche Projekte
Die Stadtverwaltung hat bereits einige Problemfelder für Münster erkannt und erfolgreiche Projekte durchgeführt. Dazu zählen zum Beispiel das Projekt „Gesundes Essen für alle“ vom HOT Coerde unter der Leitung von Gemeindepädagogin und Sozialpädagogin Lisa Wesbuer, Fahrradkurse für Frauen vom Verein „Move und meet“ in Coerde, Sport- und Bewegungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene vom Stadtsportbund in Coerde und Berg Fidel. Hoffentlich werden im Laufe des Projektes „Gesundheit in der nachhaltigen Stadt“ weitere wichtige Handlungsfelder aufgespürt und durch eine sichere Finanzierung von der Stadtverwaltung Münster langfristig unterstützt.
* Kosten (k)einer Kindergrundsicherung: Folgekosten von Kinderarmut, DIW ECON GmbH, Berlin, 2023, Einführung S.i.
** Kosten (k)einer Kindergrundsicherung: Folgekosten von Kinderarmut, DIW ECON GmbH, Berlin, 2023, S. 11,12.
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