Wenn junge Menschen aus ihrer alten Heimat fliehen und in ihrer neuen nicht ankommen
Balko ist als 15-Jähriger abgehauen nach Deutschland. Das Land, aus dem er kam, hatte seine Leute als Fremde betrachtet. Als Kind ging er vier Jahre morgens in die Grundschule und nachmittags zur Arbeit. Mit zehn Jahren war die Schule für ihn vorbei. Ab jetzt musste Balko den ganzen Tag arbeiten, weit weg von der Familie. Wenn mal nichts zu tun war oder Feiertag, lernte er in einer ehrenamtlichen Schule noch ein wenig schreiben, lesen, rechnen und Religion. Mit 15 Jahren, meinten sie schließlich, wäre Balko alt genug, jetzt könne er kämpfen gehen. Seine Eltern würden dann schließlich einen sicheren Aufenthalt bekommen. Was sollte er tun? Balko wollte nicht in den Krieg. So machte er sich auf den Weg durch Wüsten, durchs Gebirge und übers Meer, auch mit Hilfe von Schleppern.
In Deutschland angekommen, bekommt er einen halbwegs sicheren Aufenthaltsstatus. Jetzt kann er zu einer geregelten Schule gehen und Deutsch lernen. Mit dem einfachen Hauptschulabschluss beginnt Balko danach die Ausbildung zum Sozialassistenten. Es heißt, damit kann man schon Arbeit finden oder aber eine Ausbildung zum Erzieher oder Pfleger anschließen, solche Leute würden gebraucht.
Die Praktika in Kitas und Altenheim haben ihm gut gefallen, der Weg war richtig für ihn. Den Abschluss Sozialassistent hat er geschafft – mit Mühe, aber bei seiner schulischen Vorgeschichte schon gut –, nicht aber den Realschulabschluss. Diesen braucht er aber für die weitere Ausbildung zum Erzieher. Also sucht er nach Alternativen. Inzwischen ist er 19.
Der Beruf als Sozialassistent führt ohne höheren Schulabschluss in die Sackgasse
Für seinen Lebensunterhalt muss er nun zum Jobcenter gehen. Im Jobcenter sagt man ihm, er solle sich eine Arbeit suchen. Unterstützung bei der Stellensuche bekommt er nicht, nur mehr oder weniger gut gemeinte Anstöße, dass er schon Arbeit finden werde. Balko merkt schnell: Die vermeintlich guten Aussichten für Sozialassistenten sind nicht so rosig. Es werden doch nicht so viele Stellen angeboten, höchstens für Pfleger oder Erzieher. Bei seinen Kontakten zu den möglichen Arbeitgebern werden aus den offenen Stellen jeweils nur Arbeitsangebote in Teilzeit, Minijobs oder im Freiwilligendienst, die allesamt seine Existenz nicht sichern können. Trotzdem fragt er nach, aber jedesmal heißt es: Nein, die Stelle ist schon weg. Balko merkt, als Sozialassistent wird er nicht gebraucht.
Bevor der Jobcoach vom Jobcenter in Urlaub fährt, sagt er zu Balko: Und wenn ich wieder da bin, dann haben Sie eine Stelle! Balko bewirbt sich überall; Hauptsache Arbeit, denkt er. Dann verdiene ich mir jedenfalls meinen Lebensunterhalt selber. Auf seine Bewerbungen für Helferjobs kriegt er oft nicht mal eine Rückmeldung; manchmal doch, dann oft aus der Gastronomie. Ein Café in der Stadt wirbt vor der Tür um Personal für Küche, Theke, Service. Balko geht rein und fragt nach einem Job. Er soll insbesondere jedes Wochenende arbeiten, da sei Bedarf, heißt es. Er fragt, zu welchen Uhrzeiten die Wochenenddienste sein werden, und was er in der Stunde verdient. Da sagt die Filialleiterin: Ich höre schon, du willst gar nicht arbeiten, dann wollen wir dich auch nicht.
Viele Jobangebote, viele Hindernisse und keine Anstellung
Eine Anzeige bietet eine Helferstelle im Lager bei Agravis für 11,30 Euro Stundenlohn und gute Sozialleistungen an. Bei Bedarf solle es eine einführende Qualifizierung mit Staplerschein geben. Balko ruft an. Die Telefonnummer führt ihn jedoch nicht zu Agravis, sondern zu einem Leiharbeitsunternehmen. Der Personaldisponent sagt: Nein, die Stelle bei Agravis gibt es nicht. Er kann woanders arbeiten, auch als Helfer, und da würde er 9,80 Euro Stundenlohn erhalten. Balko kann dort jedoch nicht rechtzeitig hinkommen – um die Zeit fährt kein Bus, und er hat kein Auto, kein Führerschein. Also wieder nichts.
Ein weiteres Café lädt Balko ein, zur Probe zu arbeiten. Der Chef ist meist weit weg. Das Betriebsklima ist schwierig, mit den Kolleginnen kommt es gleich zu Problemen. Jede versucht ihn einzuspannen für ihre eigenen Aufgaben. Er kann sich nicht zweiteilen, kann nicht allen gleichzeitig gerecht werden. Daraus entstehen sofort Konflikte mit den Kolleginnen, und der Chef ist nicht da, mit der Folge, dass Balko gleich wieder gehen kann.
Ein paar Tage später ruft der Mann von der Leiharbeit wieder an, jetzt könnte er ihn bei Agravis einsetzen, ob er sofort kommen könne, fragt er Balko. Der freut sich und fährt hin. Er kann tatsächlich direkt anfangen. Balko guckt und sieht Stapler schwer beladene Paletten in zehn Meter hohe Regale packen. Die Stapler schwanken, ihm wird schwindelig. Das kann er nicht, das ist ihm zu gefährlich. So was hat er nie gemacht, einen Staplerschein hat er nicht. Von einer vorherigen Schulung wird nicht mehr gesprochen. Balko lehnt ab.
Er bewirbt sich bei einem Krankenhaus, für den Service in der Cafeteria. Das Vorstellungsgespräch war gut, es gab sogar noch weitere Jobmöglichkeiten im Hause. Das Krankenhaus sagt: Wir melden uns. Wenn nicht, dann wird es nichts. Bisher hat es sich nicht gemeldet.
Eine stylische Imbisskette sucht eine Küchenhilfe. Im Bewerbungsgespräch fragt die Filialleitung, offenbar selbst eingewandert: Wie lange bist du schon in Deutschland? Vier Jahre, sagt Balko. Darauf die Antwort: Nein, es sollten mindestens fünf Jahre sein. Balko denkt: und nächstes Jahr wollen sie, dass ich schon sechs Jahre hier bin.
Eine Pizzeria sucht einen Küchenhelfer in Vollzeit. Balko fragt nach. Sie sagen, sie nehmen nur Studenten. Er erfährt, dass Studenten die Betriebe weniger Sozialversicherungsbeiträge kosten – also wird es wieder nichts, aber Balko fragt sich: Wann oder wie studieren die Studenten, wenn sie in Vollzeit arbeiten?
Ein Café lädt ihn zum Vorstellungsgespräch. Das Angebot passt, er arbeitet zur Probe und das passt auch. Nur als er anfangen soll am nächsten Montag, da wiederholt er, was er im Vorstellungsgespräch schon gesagt hatte: An dem besagten Montag muss er zu seiner Botschaft, er muss den Pass verlängern für seinen Aufenthalt. Den Termin konnte er nicht frei wählen. Jetzt lässt das Café ihn warten: Er hat keine Absage, aber auch keinen Termin für einen Arbeitsbeginn bekommen. Aber Balko hat weitere Bewerbungen laufen, er schaut, wo er sich wieder vorstellen kann.
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