aus dem Magazin

Burnout – über die schwierige Annäherung an ein Zeitgeist-Phänomen

„Artikel über Burnout schreiben? Klar, mache ich. Dazu habe ich schließlich eine Meinung.“
Und dann kam alles etwas anders als geplant…

Von Marian Swolinski

Ein paar Worte seien diesem Artikel vorausgeschickt. Zunächst einmal: Es ist kein fundierter Fachartikel über die vermeintliche oder tatsächliche Krankheit Burnout. Auch kann an dieser Stelle ein so komplexes Thema natürlich nur in bescheidenem Umfang abgehandelt werden. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass selbst die Fachwelt sich schon bei der Definition uneins ist. Dann ist da noch der Autor, der antrat, das ganze Konstrukt „Burnout“ infrage stellen zu wollen und beschämt erkennen musste, dass daraus nichts wird.

Meine erste bewusste Begegnung mit dem Begriff „Burnout“ hatte ich wahrscheinlich Mitte der Neunziger Jahre. Auch wenn ich das zu hundert Prozent nicht mehr zusammenbekomme, dürfte da der Burnout-Fall eines Promis durch die Medien gegangen sein, dazu setzte sich vor allem der Begriff „Managerkrankheit“ in meinem Hirn fest. Meine damalige Haltung und oberflächliche Einschätzung – gekennzeichnet durch Schlagworte wie „Schönfärberei“, „Modewort“, „eigentlich im Kern nichts groß anderes als eine lupenreine Depression“ (ohne dass ihr der schlechte Beigeschmack dieses Begriffs anhaftete) – haben mich veranlasst, diesen Artikel zu schreiben.

Tiefe emotionale Erschöpfung

Dabei zeigte sich vor allem meine Unkenntnis des Phänomens sowie meine damalige Unwilligkeit, mich mit der Thematik gründlich auseinanderzusetzen. Denn: „Burnout“ bezeichnet zwar ein Syndrom mit vielen Symptomen (wie zum Beispiel Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, Mattheit, Fieber etc. bei einer Erkältung). Es ist aber mehr als das: ein Prozess, an dessen Ende die völlige emotionale Erschöpfung steht. Erst im Nachhinein wird deutlich, ob die zeitlichen Abläufe und die Symptome unter dem Begriff „Burnout“ zusammengefasst werden können. In gewisser Analogie dürfte bei der Diagnose zusätzlich ein Spruch greifen wie der: „Frag drei Therapeuten und du bekommst fünf Meinungen“.

Dann steht da in den vielen schlauen Büchern über die betroffenen Berufsgruppen doch tatsächlich was von „schon früh dokumentiert vor allem in den sogenannten Helferberufen“. Es ist nicht mal ansatzweise die Rede von Manager*innen, Banker*innen, Anwält*innen oder Spitzensportler*innen, sondern von Alten- und Krankenpfleger*innen, Lehrkräften und Sozialarbeiter*innen. Am Ende stößt man auf seitenweise Arbeiten zu dokumentierten Fällen in allen möglichen Berufsgruppen. Dort ist von A bis Z wirklich fast alles vertreten, so dass davon auszugehen ist, dass diese Liste eher noch länger werden könnte; und man eventuell auch Abstand davon nimmt, Burnout als Berufskrankheit im engeren Sinne anzusehen.

Das Nicht-Mehr-Abschalten-Können

Ich versuche an dieser Stelle, den Fortgang unabhängig von Job und sonstigen Lebensumständen zu skizzieren: Ein Mensch mit Energie und Eifer begibt sich an eine selbst gewählte oder zugewiesene Aufgabe. Diese Aufgabe rückt langsam so sehr in den seinen persönlichen Fokus, dass alles andere auf der Strecke bleibt. Ein Abschalten davon, ein Loslassen, ein Entspannen wird immer schwieriger. Die Aufgabe und die damit verbundenen Anforderungen finden Eingang in die Gedanken vor dem Zubettgehen, mitunter sogar bis hinein in die nächtlichen Träume. Die Wochenenden sind schon am Freitagabend vom Gedanken an die nächste Anforderung am Montag überschattet. Dann ist irgendwann ein Punkt erreicht, bei dem dieser Eifer nicht mehr zufriedenstellend vergolten wird. Der Frust steigt; Desillusionierung stellt sich ein. Das direkte Umfeld, Kolleg*innen und Familie, bekommt das allzu oft und öfter deutlich zu spüren. Die Leistung fällt ab. Die Aufgabe wird zunehmend als lästig, aber immer noch als elementarer Lebensmittelpunkt empfunden. „Was soll ich denn sonst tun?!“ Niemand tut sich sonderlich leicht, ein bevorstehendes Scheitern oder eine (vermeintlich persönliche) Schwäche, sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen. Der oder die Betroffene kann sich aus dieser unglücklichen Lage nicht mehr befreien, er oder sie erkrankt schließlich und endlich.

Die Symptome des Burnouts – deren Liste ist sehr lang – können in verschiedenen Phasen in unterschiedlicher Intensität auftreten, wobei ich eines der typischsten bereits oben genannt habe: das Nicht-Mehr-Abschalten-Können. Ich behaupte, das kennt jeder aus eigener Erfahrung. Allerdings sind wir nicht alle hilflos in die Abwärtsspirale des Burnouts geraten, und nicht alle müssen ihr bis an ihr Ende folgen. Dazu braucht es mehr. Relativ einig ist sich die Fachwelt, dass am Ende eine handfeste Depression mit all ihren möglicherweise fatalen Nebeneffekten und Folgen steht.

Die Entwicklung zum vollständigen „Krankheitsbild“ kann sehr schnell ablaufen oder es können Jahrzehnte vergehen. Es kann beim Erklimmen der anfangs steilen Karriereleiter im Bankenturm in Frankfurt passieren, bei der nach 20 Jahren die Erkenntnis steht, nie über das mittlere Management hinauszukommen, weil stets vermeintlich unqualifiziertere Emporkömmlinge links und rechts an einem vorbeipreschen. Es kann einen auch nach dem erfolgreichen Studienabschluss direkt beim Einstieg in die Arbeitswelt erwischen. Oder direkt im zweiten Jahr auf der Krankenpflegeschule. Oder bei der Kindererziehung als Teil des fordernden Familienmanagements. Natürlich kann das auch dem Langzeitarbeitslosen als Reaktion auf den stetigen Druck der Jobcoaches so ergehen. Zudem ist nicht selten berichtet worden, dass gewisse Phasen dieses Verlaufs zeitlebens wieder und wieder auftreten. Ohne zwingend im Burnout zu enden.

Eigentlich kann es jede*n treffen. Oder?

Über die Jahrzehnte hinweg haben sich unzählige kluge Köpfe darüber dieselben zerbrochen, das Phänomen klar zu umreißen. Einige leiten hierbei ihren Burnout-Begriff von Beobachtungen in den bereits erwähnten helfenden Berufen ab, manche stark von solchen auf den Führungsetagen der freien Wirtschaft. Wenige bewegen sich auf dem eher philosophischen und sehr weiten Feld von Begriffen wie Idealismus, Lebenssinn und deren Desillusionierung. Wieder andere – und das ist schon fast gängige öffentliche Meinung – schreiben Burnout eine (untergeordnete) Rolle rund um das Thema Stress zu.
Alle diese Versuche vernachlässigen dabei viele der jeweils anderen Faktoren, damit sie zwischen zwei Buchdeckel passen. Und nicht selten fallen einem beim Lesen sofort Ausnahmen von den gemachten Annahmen auf. Wenn äußerer Druck, der Stress hervorruft, die Grundvoraussetzung ist: Warum üben diesen Beruf (freiwillig) so viele andere Menschen aus, die keinen Burnout erleiden?
Was ist aber der kleinste gemeinsame Nenner?
Dauerhaftes (berufliches) Überengagement scheint es nicht zu sein. Damit kommen einige Menschen erstaunlich erfolgreich durchs Leben. Auch ein Mangel an Anerkennung, sei es in Form von sich mehrendem Besitz, sei es als immaterieller „Ruhm“, oder einfach nur als erfahrene Dankbarkeit, kommt daher auch nicht wirklich in Frage. Einzelne Faktoren spielen eben nur subjektiv für das jeweilige Individuum eine mehr oder weniger große Rolle in der Entstehung eines Burnouts.

„In aller Regel wird man nicht jeden Tag von einem Tiger angesprungen.“
„In aller Regel wird man nicht jeden Tag von einem Tiger angesprungen.“

Aus der Stressforschung, die eng mit der Forschung am Burnout verknüpft ist, wissen wir, wie Menschen auf mehr oder weniger plötzlich auftretende äußere Einflüsse (Stressoren) reagieren. Diese Reaktionen sind physischer Natur und daher messbar. Ausschüttung von Adrenalin, Verengung der Gefäße, Erhöhung der Blutgerinnungsfähigkeit, etc. Man denke an den Vergleich mit dem Tiger, der einen aus dem Dickicht heraus anspringt.
Wir brauchen dazu keinen Tiger, sondern können das in der kalten Jahreszeit selber an uns beobachten, wenn wir zum Beispiel plötzlich auf überfrorenem Kopfsteinpflaster ausrutschen und uns im letzten Moment noch abfangen. Achten Sie dann mal auf ihre unmittelbaren körperlichen Reaktionen! Normalerweise ist das kein Dauerzustand, denn es setzt eine Erholungsphase ein.
In aller Regel wird man nicht jeden Tag von einem Tiger angesprungen. Wäre das der Fall – und vorausgesetzt man überlebt, um davon zu berichten –, suchte man sich schnell ein anderes Lebensumfeld. Man reagiert auf diese unzumutbare Situation mit einer Bewältigung (coping). Aber machen Sie das mal in einer Firmenhierarchie, zumal in Zeiten größer werdender Unsicherheiten (Finanzkrisen und drohende Altersarmut lassen grüßen). Machen Sie das mal in Ihrer Familie. Das einzig Richtige tun: sich in Sicherheit bringen. Und dann, oh je, erst der Gesichtsverlust. „Was sollen denn die Leute denken?!“

Jede(r) geht anders mit dem Stress um

Freilich sind alle Menschen unterschiedlich gestrickt. Der eine reagiert schneller gestresst als der andere. Die eine schüttelt das schnell ab und empfindet es vielleicht auch nicht als Art persönlichen Angriffs. Der eine reagiert dann mit einer gesunden Bewältigung, die andere nicht. Einer Bewältigung nämlich, die sich der Sache widmet, die also die stressauslösenden Situationen direkt in Angriff nimmt. Der andere bewältigt eher seinen Umgang damit. Die Gefühle, welche er empfindet. Anstatt den Chef, die Mitarbeiter*innen oder andere direkt anzusprechen und die Situation zu klären, betäubt er sich oder arbeitet seine schlechten Gefühle an der heimischen Familie ab. Die eine teilt sich mit und erfährt Rückhalt und Stärkung durch die Familie, den Partner und die Freund*innen. Sie steht zu den schlechten Gefühlen, die sie plagen und behindern. Ein anderer kann oder will genau das nicht. Frisst es in sich rein, erlaubt sich keine Schwäche, aus welchen tieferliegenden Gründen auch immer.
Dieser individuell unterschiedliche Umgang mit von außen kommendem oder auch selbst erzeugtem Stress, gepaart mit der simplen Tatsache, dass es bei jedem Menschen unterschiedlich viel braucht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, zeigt sich deutlich in den teilweise sehr großen Unterschieden im Zeitverlauf bis zu einem Burnout.

Und nun?

Salopp gesagt: Wollten wir verhindern, dass zukünftig Menschen mit Burnout zu kämpfen haben, daran sogar zugrunde gehen, bräuchte es wie so oft die perfekte Welt. Dann hätten wir alle anderen Dinge auch gleich mit abgefrühstückt. Bekommen wir auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht hin.
Was sich aber ändern kann, ist die Vorbereitung des Menschen auf das Leben. Die Welt ist schließlich in den Bürotürmen keine heile. Es lauern Gefahren. Die falsche Herangehensweise wäre es, die Charaktere dagegen dergestalt zu wappnen, dass jeder mit einem emotionalen Schutzpanzer herumläuft. Zwischen labil und unangreifbar liegt ein weites Feld. Die charakterliche Entwicklung des Menschen muss es ihm ermöglichen, Dinge im Kleinen so erfahren, durchleben und auch verändern zu können, dass er nicht auf der Strecke bleibt. Je größer die Organisationsstruktur, wo man den Firmenchef zum Beispiel nur aus der Tagesschau kennt, ihn aber noch nie leibhaftig gesehen hat, desto schwieriger ist das.
Umso wichtiger, dass wenigstens in kleinen Organisationseinheiten das Miteinander stimmt. Dass es keine Schwäche bedeutet, wenn ein*e Mitarbeiter*in klagt, überlastet zu sein. Das kann gelingen, wenn Menschen in Zukunft achtsam mit sich und anderen umgehen. Achtsamkeit. Dieses inflationär gebrauchte Wort habe ich bis jetzt vermieden, aber am Ende kommen wir nicht drum herum. Die Fragen „Wie geht es mir?“ und „Was brauche ich?“ sind immanent wichtig. Nicht nur an uns selbst gerichtet, sondern auch und gerade im Umgang miteinander. Nur wer sich und seine Gefühle und Bedürfnisse reflektiert, kann anderen die notwendige Achtung entgegenbringen. Und Reflexion kann man durchaus lernen. Oder wieder erlernen. Kindern trainieren wir regelmäßig das „Ich will aber!“ ab, verweisen auf die Ungehörigkeit solcher Sätze. Und dann lassen wir sie damit stehen. Bringen ihnen nicht bei, wie sie ihre innersten Bedürfnisse adäquat äußern dürfen und sollten.
An dieser Stelle liegt auch in der Bildung noch vieles im Argen. Ich schreibe jetzt bewusst nichts dazu, dass die Politik hier in der Pflicht ist. Die Reichen und Mächtigen. Die Bosse. Denn erstens sind das nicht die Adressaten, zweitens ändert das von heute auf morgen nichts und drittens wird das ein mühsamer, langer Weg, den jede(r) für sich und in seinem nächsten Umfeld zu gehen hat. Auf diesen Wegen kommt es unweigerlich zu notwendigen Veränderungen. Und das nicht erst in ein paar Generationen, sondern schon morgen. Einfach wird das nicht.

Hinweise für Burnout-Betroffene:

  • Sollten Sie das Gefühl haben, Sie könnten zur Gruppe der Betroffenen zählen, empfiehlt sich zunächst ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin.
  • Verzichten Sie bitte auf den Kauf von Literatur mit Titeln wie etwa „Garantiert Burnout-frei in zwei einfachen Schritten“!
  • Sollten Sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen, berät sie
    Ihre Krankenkasse über Möglichkeiten. Oft existiert eine Online-Datenbank mit Therapeuten. Im Raum Münster existiert zudem das PsychotherapeutInnen-Netzwerk Münster und Münsterland e.V.
  • http://www.ptn-muenster.de//