Ein Gastbeitrag von Frank Biermann.
Eigentlich könnten es die besten Jobs der Welt sein, weil die Arbeit den Besuch im Fitness-Studio erspart und deshalb gerade bei Studierenden sehr beliebt ist. Aber Arbeit bleibt Arbeit, da müssen die Arbeitsbedingungen stimmen und die Bezahlung sowieso, und die sanitären Anlagen sollten gewissen Standards genügen. Nicht mal das scheint beim Unternehmen Flaschenpost der Fall zu sein.
Zwar wollten die Flaschenpost-Mitarbeiter*innen, die zu einem offenen Austausch bei der Gewerkschaft Nahrung Genuß Gaststätten (NGG) im Gewerkschaftshaus erschienen waren, nicht alle Details bestätigen, die minutiös in einem siebenseitigen anonymen Schreiben ausgebreitet wurden, das auch an die Presse gelangt war. In einem Punkt herrschte allerdings Einigkeit: Die Herren-Toiletten befinden sich in einem katastrophalen Zustand, würden viel zu selten gereinigt.
Udo Therling, ehemaliger Mitarbeiter, dessen Vertrag zum Ende des Vorjahres ausgelaufen war, bestätigte gegenüber der Presse, dass die Toiletten völlig unzureichend gereinigt würden: „Man brauchte dafür Gummistiefel“. „Es stank da bestialisch nach Ammoniak“, so der Eindruck von Florian Wieners, der aktuell im Lager arbeitet. Die Schichtleiter*innen würden deshalb die saubereren Damentoiletten benutzen, für die man einen Schlüssel brauche.
Keineswegs vom Tisch ist der Vorwurf, dass Flaschenpost in den Sommermonaten die Klimaanlagen in den Transportern deaktiviert, um so den Spritverbrauch zu reduzieren. Und das, obwohl die Mitarbeiter*innen Getränkekisten mit einem Gesamtgewicht von einer Tonne teilweise in den 4. oder 5. Stock hochschleppen müssten. Beifahrer*innen gibt es nicht. Nach Einschätzung von NGG-Gewerkschaftssekretär Piet Meyer ist das Schreiben authentisch, vieles decke sich mit dem, was ihm Mitarbeiter*innen unabhängig voneinander in den letzten anderthalb Jahren geschildert hätten.
Und da kommt einiges zusammen: Kein existierender „echter“ Betriebsrat, ein ungeheiztes Lager, nur 15 Minuten Pause bei acht Stunden Arbeitszeit, kaum eine Möglichkeit, in Vollzeit zu arbeiten. Die Beschwerden der Kund*innen nähmen zu, und der Druck lande bei den Fahrer*innen (weil beworbene Sonderangebote zu früh vergriffen sind).
Es waren auch zufriedene Flaschenpost-Mitarbeiter*innen der Einladung gefolgt, die trotz allem einen Betriebsrat im Unternehmen wollen. Niemand würde gehindert, in Vollzeit zu arbeiten, so Aaron Remers. Er ist schon seit zweieinhalb Jahren bei Flaschenpost beschäftigt und will von menschenunwürdigen Verhältnissen, wie sie in dem Schreiben genannt wurden, in seinem Betrieb nichts wissen. Und, so pflichteten ihm Kolleg*innen bei, viele der Probleme habe es vielleicht am Anfang gegeben, seien wohl Resultat der schnellen Expansion des noch jungen Unternehmens. Wegen des kalten Lagers sei schnell ein Heizungssystem installiert worden, da sei auch kein Geld gespart worden.
An heißen Tagen, an denen der meiste Umsatz gemacht würde, berichtet dagegen Florian Wieners, müsste er bei 32 Grad Temperatur in dem Waschbetonbau an der Feuerwache 2 in fünf Stunden schon mal 1200 Kisten bewegen. Die Arbeit werde zu wenig wertgeschätzt. Da würden ein paar Gratistrinkflaschen verteilt, das sei die einzige Reaktion auf die Hitze gewesen, so Wieners, im Hauptberuf Student und auf 450-Euro-Basis bei Flaschenpost beschäftigt.
Das Deaktivieren der Klimaanlagen in den Transportern sei zu seiner Zeit Standard gewesen, erinnert sich Therling, da seien die Sicherungen rausgenommen worden, es wurden Anweisungen gegeben wie: „Nicht benutzen“. Er hatte sich schon gewerkschaftlich engagiert und für einen Betriebsrat gekämpft. Und genau das mache die Schwierigkeit in Betrieben aus, in denen weitgehend mit befristeten Arbeitsverträgen gearbeitet würde, so NGG-Geschäftsführer Helge Adolphs. Man müsse den gewerkschaftlich Aktiven gar nicht kündigen, deren Arbeitsverträge liefen ja irgendwann sowieso aus.
Aufmerksame Zuhörerin der Diskussion war die Bielefelder SPD-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann (NRW-Ministerin a.D.), die für den SPD-Parteivorsitz kandidiert und Digitalpolitikerin ihrer Partei ist. Die Politik müsse sich auf ganz neue Herausforderungen einstellen, etwa bei Unternehmen wie Foodora, wo die Aufträge über eine App verteilt würden. Die Plattformökonomie erfordere gesetzliche Änderungen, zum Beispiel beim Betriebsverfassungsgesetz. Es sei das gute Recht auch für die Beschäftigten der Lieferdienste „faire Arbeitsbedingungen vorzufinden“. Leider gebe es bei vielen plattformbasierten Unternehmen starke Bestrebungen, einen Betriebsrat zu verhindern, bei Foodora sei das offensichtlich. Auch bei Flaschenpost solle es Bestrebungen gegeben haben, Beschäftigte unter Druck zu setzen, dass ein Betriebsrat auf lokaler Ebene nicht gegründet wird.
Gerade in solchen Unternehmen gebe es besondere arbeitsrechtliche Herausforderungen, teilweise würden die Beschäftigte der Lieferdienste als Soloselbstständige wie bei Deliveroo beschäftigt und hätten keine Arbeitnehmer*innenrechte, da gebe es dann überhaupt keine Mindestsozialstandards mehr. Und ein gravierendes Datenschutzproblem komme noch dazu: Wenn die Auftragserteilung und -abwicklung via App erfolge, hätte der Betreiber der App alle Daten, wisse also, wer wo wann in welcher Zeit fahre. Dann bestehe immer eine Macht- und Informationsasymmetrie, die den Arbeitgeber dazu befähige, Druck auf die Arbeitnehmer*innen auszuüben und sie zu überwachen.
Die Geschäftsführung der Firma Flaschenpost bestreitet die in dem Schreiben enthaltenen Vorwürfe. Stephen Weich, Geschäftsführer von Flaschenpost, sagte gegenüber der WDR Lokalzeit Münsterland: „Wir sind den Vorwürfen nachgegangen und können dazu sagen, das viele Themen nicht korrekt dargestellt sind“. Flaschenpost beschäftigt in Münster 500 Mitarbeiter. Das Start-up expandiert weiter, ist inzwischen bundesweit an 13 Standorten vertreten.
Zuerst erschienen bei der Münsterschen Volkszeitung.
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