Aus der Sperre Frühjahr 2019
Ein Sozialgesetz entpuppt sich als Sozialstrafgesetz
Wer Geld vom Jobcenter bezieht, soll alles dafür tun, was in Arbeit führt und die Geldleistungen vermindert. Das ist das oberste Ziel. Für diejenigen, die diese Pflichten nicht erfüllen, ist ein vielfältiges System von finanziellen Folgen, die sogenannten Sanktionen, ausgedacht worden. Anstelle von Sozialgesetzbuch II sprechen manche Betroffene da auch schon mal von Sozialstrafgesetzbuch II. So sehr verbinden sie das Jobcenter mit Strafen.
Einige, auch der Gesetzgeber, versuchen den Eindruck zu erwecken, die Strafe käme automatisch: Auf ein Fehlverhalten folgt die Sanktion, ohne jedes zutun eines Menschen. So ist es nicht. Wie leistungsbeziehende Menschen ihre vielfältigen Beweggründe haben, so sind auch die Menschen in den Jobcentern fehlbar und tätig beteiligt: Sie nehmen wahr oder nicht, sie bewerten, sie entscheiden, ob ein Verhalten schuldhaft ist. Manchmal sind sie sogar Verursacher*innen der Probleme, etwa wenn sie ein Gespräch auf Augenhöhe über Eingliederungsschritte erst gar nicht zustande kommen lassen, wenn sie eine sinnvolle Qualifikation verhindern, um die Menschen in zweitrangige Jobs zu drängen, oder wenn sie Arbeitslose mutwillig mit Anforderungen überziehen, die diese gar nicht erfüllen können. Diese „Mechanik der Sanktionen“ ist die Mechanik der handelnden Mitarbeiter*innen im Jobcenter. Die muss man nicht einfach hinnehmen, es lohnt sich, sie zu überprüfen.
Welche Pflichtverletzungen werden bestraft?
„Weigern“ wird bestraft. Als Weigern gilt die fehlende Bereitschaft, sich an eine auferlegte Pflicht zu halten. Auch Vergessen kann (muss aber nicht) als aktives Weigern gewertet werden. Man soll sich nicht weigern, eine Pflicht aus der Eingliederungsvereinbarung oder dem Eingliederungsverwaltungsakt zu erfüllen, insbesondere die geforderten Bewerbungen nachzuweisen. Man soll sich nicht weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen – das wird bestraft. Dazu gehört auch, wenn man durch das Verhalten indirekt verhindert, eingestellt zu werden, oder Anlass dafür gibt, dass die Maßnahme oder die Arbeit beendet wird – es sei denn, man hat einen sogenannten wichtigen Grund dafür; dazu später.
Den Menschen, die eine Sperrzeit der Arbeitsagentur aufgebrummt bekommen haben und ergänzend Geld vom Jobcenter haben möchten, unterstellt das Jobcenter ebenfalls eine Pflichtverletzung.
Unwirtschaftliches Verhalten zum Zweck des Leistungsbezuges kommt im zahlenmäßig geringerem Umfang vor und zählt auch zu den bestraften Pflichtverletzungen.
Die meisten Absenkungen kommen bei Meldepflichtverletzung vor: Wer eine Einladung zum Jobcenter oder zu einer gesundheitlichen Untersuchung für das Jobcenter nicht befolgt, erhält eine Kürzung.
Welche Rechtsfolgen verhängt das Jobcenter?
eine erste Meldepflichtverletzung führt dazu, dass der Regelbedarf drei Monate lang um zehn Prozent gekürzt wird, bei Alleinstehenden macht das monatlich jeweils minus 42,40 euro. Jede weitere Meldepflichtverletzung kostet erneut zehn Prozent, die sich zu den bisherigen Abzügen dazu addiert. Allerdings muss sich das Jobcenter ab dem dritten Meldeversäumnis etwas anderes als diese Einladung überlegen, dieser Weg ist möglicherweise falsch.
Eine erste Verletzung jeder anderen dieser Pflichten kostet für Personen über 25 Jahre drei Monate lang 30 Prozent des Regelbedarfs, für Alleinstehende also dreimal 127,20 euro. Unter 25-Jährige verlieren sogar den kompletten Regelbedarf, nur Miete und Krankenversicherung werden noch gezahlt. Eine erstmals wiederholte Pflichtverletzung führt zu verschärften Strafen, 60 Prozent der Regelleistung werden danach gekürzt (bei über 25-Jährigen). Die Miete zahlt das Jobcenter an den Vermieter. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung wird die Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II) komplett eingestellt. Junge Menschen unter 25 verlieren bereits bei der ersten Wiederholung zusätzlich die Mietzahlung. Mit dem kompletten Verlust der Jobcenterleistungen entfällt auch die Krankenversicherung.
Die Kürzung beginnt in dem Monat, nach dem das Jobcenter die Sanktion festgestellt hat, nur bei Sperrzeiten der Arbeitsagentur, hier kürzt das Jobcenter zeitgleich mit dem Beginn der Sperrzeit. Der gekürzte Betrag kann nicht durch Leistungen des Sozialamtes (SGb Xii) ersetzt werden.
Was ist zu tun? Rechtsmittel einlegen? Abmilderungen beantragen? Beides!
Rechtsmittel, Widerspruch, Klage
Ansatzpunkte für Rechtsmittel sind: Gab es eine Anhörung? Ohne Anhörung darf das Jobcenter keinen belastenden Verwaltungsakt, also etwa eine Absenkung der Geldleistung, veranlassen. In der Anhörung lassen sich oftmals Tatbestände noch anders sehen und darstellen, als das Jobcenter das zunächst getan hat. Dann lässt sich eine Sanktion vermeiden.
Liegt die Pflichtverletzung weniger als sechs Monate zurück? Wenn sie länger zurückliegt, ist ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Verhalten und Strafe nicht mehr gegeben, dann darf nicht mehr abgesenkt werden.
Gab es eine korrekte Rechtsfolgenbelehrung? Vor Absenkungen muss das Jobcenter in verschiedenen Fällen erst auf die Rechtsfolgen hingewiesen haben, vor einigen anderen nicht. Das ist zu prüfen.
Ist ein vorwerfbares Verschulden gegeben? Hätte zum Beispiel vor dem Rauswurf aus einer Maßnahme erst eine Abmahnung erfolgen müssen? Hat der Kraftfahrer den Führerschein in der Freizeit absichtlich verloren, um vom Jobcenter Geld zu bekommen?
War die zugrunde gelegte Eingliederungsvereinbarung vielleicht nichtig? Experten schätzen, dass 90 Prozent der Eingliederungsvereinbarungen einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten, weil sie auf schlichten Textbausteinen aufbauen und die tatsächliche Situation des Einzelnen nicht genügend würdigen.
Gab es einen „wichtigen Grund“ für das vorgeworfene Verhalten? Das kann wie die Unzumutbarkeit einer Arbeit oder Maßnahme geprüft werden. „Wichtig“ können etwa persönliche Gründe wie Überforderung, Gesundheit oder Familie sein, oder in der Arbeit liegende Gründe oder fehlender Datenschutz.
Mit wiederholter Pflichtverletzung sind nicht mehrere gleichzeitige Verhalten gemeint, sondern deutlich voneinander getrennte Verhaltenssituationen; mehrere gemeinsam ausgegebene Stellenvorschläge begründen also noch keine Wiederholungstaten. Vor einer verschärften Kürzung muss das Jobcenter zunächst eine Absenkung wegen des ersten Fehlverhaltens bekanntgegeben haben und auf die Rechtsfolgen einer erneuten Pflichtverletzung hinweisen. Auch darf die erste Sanktion nicht mehr als ein Jahr zurückliegen.
Widerspruch einlegen hat allerdings in der regel keine aufschiebende Wirkung, das heißt: Gekürzt wird erst einmal, aber bei erfolgreichem Widerspruch wird nachgezahlt. Gegen die sofortige Kürzung kann am Sozialgericht ein Antrag auf aufschiebende Wirkung gestellt werden.
Ist es für den Widerspruch zu spät, ergeht er also mehr als einen Monat nach dem Zugang des Bescheides für die Absenkung, dann ist bis zum ende des Folgejahres noch ein Antrag auf Rücknahme nach § 44 SGb X möglich. Auf einen abgelehnten Widerspruch kann man mit einer Klage am Sozialgericht antworten.
Abmilderungen sind möglich
Geringere Höhe der Absenkung: Erklärt sich der oder die Leistungsberechtigte bei einer Absenkung von mehr als 60 Prozent nachträglich bereit, den Pflichten nachzukommen, dann kann die Kürzung auf 60 Prozent begrenzt werden. Milderung durch Sachleistungen, geldwerte Leistungen: Wird um mehr als 30 Prozent abgesenkt, dann muss das Jobcenter darauf hinweisen, dass man beim Jobcenter Sachleistungen beantragen kann, etwa Gutscheine, Mietkostenübernahme oder andere geldwerte Leistungen. Auch unter 25-Jährige können Sachleistungen beantragen. Sind Kinder im Haushalt, muss das Jobcenter auf jeden Fall Sachleistungen erbringen. Geleistete Sachleistungen bewirken bei vollständiger Geldkürzung, dass damit auch die Krankenversicherung gewährleistet ist. Eine Minderung der Kürzungsdauer ist bei jungen Menschen unter 25 Jahren möglich.
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