Ein Gastbeitrag von Frank Biermann
Wenn sich deutsche Theatermacher*innen mit aktuellen politischen und sozialen Fragen beschäftigen, dann bemühen sie gerne historische Vorlagen. Warum dies so ist, weiß keiner so genau, aber es ist so. Thomas Nufer hat schon ein Profil gewinnen können, als Regisseur, der die Auseinandersetzung mit sozialen Fragen nicht scheut. Für sein aktuelles Stück „Reichtum und heißes Wasser für alle – Eine politisch-surreale Theaterperformance“ hat er sich an den „Plutos“ von Aristophanes angelehnt, die vor 2500 Jahren in Griechenland aufgeschrieben wurde.
Die Geschichte, die derzeit sehr schillernd und nicht unaufwändig in der schon etwas verrotteten ehem. Eissporthalle erzählt wird, hat einen realen historischen Hintergrund. Auf der Insel Nauru, einem kleinen Inselstaat im pazifischen Ozean erlebten die 10.000 Einwohner*innen Zeiten unglaublichen Reichtums. Der Inselstaat blühte keineswegs auf, er verfiel in Dekadenz, der soziale Zusammenhalt zerfiel. Um diese Geschichte zu erzählen, spart Nufer nicht am künstlerischen Personal.
Da treten die bekannten griechischen Gött*innen auf, wie der mahnende Aristoteles (Markus von Hagen), Penia, die Göttin der Armut (Christiane Hagedorn), Plutos, der blinde Gott des Geldes (Stefan Nászay) dazu kommt ein zehnköpfiger Chor der Plastikschürfer, der Gassenhauer wie „Herzilein“ mit neuen Texten präsentiert und das Volk des Staates Dystopia darstellt. Die verdienen ihr Geld mühsam als Plastikschürfer*innen und träumen natürlich alle vom Reichtum. Dazu gesellen sich ganz zeitgeistig auch noch Influencer*innen (nein, Rezo ist nicht dabei) und Angela Merkel mischt sich über Fernseher, die vor den Zuschauerrängen stehen, in die Debatte ein, die um die Frage kreist, ob denn ein Riss durch die Gesellschaft geht.
Der*die Zuschauer*in ist extrem gefordert bei dieser Darbietung. Nufer hat die riesige, vielleicht zu riesige Bühne in der Eissporthalle mit verschiedensten manchmal ordentlich vernebelten Bühnenbildern ausgestattet, das Schauspiel findet mal in rechter weiter Ferne statt, dann tauchen die Schauspieler*innen ganz unter den Zuschauer*innen auf, die vom Moderator des Abends, namens Narr Ativ (Martin Schlathölter) auch noch zum Mitmachen (Kopfstand bitte!) aufgefordert werden. Jedenfalls findet die Geschichte, in deren Mittelpunkt Chremylos (Eckhard Ischebeck) und die Sklavin Karion (Lara Albert) stehen, kein gutes Ende. Dystopia, ein Land in dem es sogar Mitbestimmung gibt, endet in Agonie und Dekadenz, Überfluss und Trägheit führen nur zu Zivilisationskrankheiten. Zeus setzt mit Blitz und Donner dem sinnlosen, konsumorientierten müßigen Treiben ein Ende.
Nufer lässt den pädagogischen Zeigefinger komplett in der Tasche und ist meilenweit davon entfernt plattes Agitprop-Theater auf die Bühne zustellen. Er beschreibt die gesellschaftlichen Verhältnisse einfach so wie sind: Widersprüchlich, irritierend, oberflächlich, egoistisch, sinnfrei, krank machend, physisch wie psychisch. Und der*die Zuschauer*in bekommt auch keine Antwort auf die Frage: Ob ein reines Leben nur in Armut möglich ist, weil die Reichen ja alle Schurken sind, die sich ihren Reichtum entweder ergaunert oder durch gnadenlose Ausbeutung anderer verschafft haben.
Die Inszenierung wird getragen von plakativen Bilder und von einem bärenstark besetzten Schauspielensemble, dem die Freude am Spiel anzumerken ist. Einer der Höhepunkt des Stückes sicherlich der Dialog zwischen Karl Marx und Päpstin Franziska, herausragend verkörpert von Christiane Hagedorn und Stefan Nászay, die den Vergleich mit Don Camillo und Peppone nicht scheuen brauchen.
Sehr zurückgenommen hat Nufer die Phase der Dekadenz und Agonie im Staate Dystopia inszeniert, in einem Berliner Theater wären da sicher plakativere, prallere und wuchtigere Bilder zu sehen gewesen.
Der Kauf eines Programmheftes bei einem der Verkäufer*innen, die sonst die „draußen“ unter‘s Volk bringen, wird zum besseren Verständnis empfohlen. Denn über Textstellen wie: „Die Armen sind doch wichtig. Die haben doch eine ganz konkrete Aufgabe. Vielleicht bilden sie ja so etwas wie eine Drohkulisse, die der Mittelschicht den Abstieg vor Augen führt, wenn sie nicht kooperiert“. (Narr Ativ) lohnt es sich auch über den eigentlichen Theaterabend hinaus nachzudenken. Jedenfalls hat das Jugend- und Bildungswerk des Evangelischen Kirchenkreises Münster als Veranstalter sein Geld in diesem Stück gut angelegt.
Weitere Termine:
25.6., 20.00 Uhr
26.6., 20.00 Uhr
27.6., 20.00 Uhr
30.6., 11.00 Uhr
https://reichtum-heisseswasser.de/
Zuerst erschienen in der Münsterschen Volkszeitung.
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