Aus der Sperre Frühjahr 2019
Oder: Wie hoch ist die Sanktionsquote für Bezieher*innen von Hartz IV wirklich?
Bundesweit haben die deutschen Jobcenter in den letzten Jahren jährlich 900.000 bis gut eine Million Kürzungen wegen Fehlverhaltens verhängt. Gleichzeitig spricht die Bundesagentur für Arbeit von 3 Prozent „Sanktionsquote“. Eine Million klingt viel, 3 Prozent hört sich nach wenig an. Sind sie deshalb vernachlässigbar?
Hartz IV beziehen grob gerechnet sechs Millionen Menschen, ohne deren Kinder sind es 4,3 Millionen „erwerbsfähige Leistungsberechtigte”, wie sie genannt werden. Eine Million Sanktionen auf gut vier Millionen Erwachsene, oder eine Sanktion auf vier betroffene – das sind keine 3 Prozent.
Wie rechnen die Jobcenter das zusammen?
Eine Million Sanktionen treffen 500.000 Menschen. Es ist also erst mal so, dass statistisch gesehen ein*e durchschnittlich Sanktionierte*r zwei Sanktionen zu ertragen hat. Aber so kommt man noch nicht auf die 3 Prozent – rechnen wir also weiter. Sanktionen dauern üblicherweise 3 Monate, ein Vierteljahr. Man nehme vier Sanktionierte, dann hat man ein Jahr lang ständig einen Sanktionsplatz besetzt. Also teile ich 500.000 durch vier, dann komme ich auf 125.000 Menschen mit gekürztem Lebensunterhalt. 125.000 Menschen im Bezug dauerhaft gekürzt, das sind etwa 3 Prozent von vier Millionen. So kann man eine Million Sanktionen bei vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden auf 3 Prozent Sanktionsquote runterrechnen. Stellen wir uns diese 3 Prozent Sanktionsquote einmal bildlich vor. Manche*r erinnert sich noch an die Schulzeit, manche*r auch mit Grausen. „Stell dich in die Ecke und schäm‘ dich”, diese Pädagogik kennen die Älteren unter uns noch allzu gut. Wenn bei 33 Kindern in einer Klasse die ganze Schulzeit hindurch ständig ohne Pause ein Kind in der Ecke gestanden hätte, dann wäre das eine Sanktionsquote von 3% gewesen. Auf 3% sind wir oder besser unsere Lehrer*innen bei Weitem nicht gekommen, nicht mal auf 0,3%, selbst wenn sie noch schofel waren.
21,8% Sanktionsquote!
Bei den Integrationen in Arbeit wird übrigens gaaanz anders gerechnet, hat das Breme Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (biaj) festgestellt. Im Jahr 2016 zählte die Bundesagentur für Arbeit 1.060.037 Integrationen, also etwas mehr als die damals 939.000 Sanktionen. Daraus errechnet sie folgende Quoten:
1.060.000 Integrationen bei 4,3 Millionen erwerbsfähigen Leistungsbezieher*innen ergeben eine Integrationsquote von 24,6 Prozent. Dabei sind viele Vermittlungen in Arbeit nur von kurzer Dauer, besonders in der Zeitarbeit, so dass manch eine mehrmals im Jahr als „Integration“ gezählt wird. Aus 939.000 Sanktionen bezogen auf 4,3 Millionen Leistungsbezieher*innen errechnet das biaj nach dem Rechenweg der Integrationsquote eine Sanktionsquote von 21, 8 Prozent.
Und Münster?
Das Jobcenter Münster hat 2017 – jüngere Zahlen liegen nicht vor – insgesamt 1523 Sanktionen verhängt, das sind etwa zehn Sanktionen pro 100 Leistungsbezieher*innen. Verglichen mit anderen Jobcentern ist das ein gutes Ergebnis, Münster liegt auf Platz 378 unter insgesamt 394 Jobcentern. Das „Spitzen-Jobcenter“ verhängt auf 100 Leistungsbezieher*innen 53 Sanktionen, das „Schlusslicht“ schafft gerade mal vier.
Das gute Ergebnis heißt nicht, dass es nicht besser ginge. Wenn andere Jobcenter in den Sanktionsbrunnen springen, muss die Behörde in Münster ja nicht hinterherhüpfen.
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