Aus der Sperre Sommer 2019
Neue Bürgerinitiative kämpft für preiswerten Wohnraum und gegen Profitstreben
Die Initiative „Münster gehört uns allen“ (MSgua) hat sich Anfang Mai neu gegründet. Unter diesem Namen zusammengeschlossen haben sich alternative Wohnprojekte, Mieter*innen-Initiativen – zum Beispiel von Mieter*innen der LEG – und Stadtteilinitiativen aus verschiedenen Stadtvierteln.
Interview: Jan Große Nobis
Die Mitglieder setzen sich für mehr bezahlbaren Wohnraum und Alternativen zu Privatinvestor*innen in Münster ein. Anlass genug für die SPERRE, mit Edda Hattebier und Matthias Kayß von MSgua über den Wohnungsmarkt in Münster sowie die Ziele und Vorstellungen ihrer Initiative zu sprechen.
SPERRE: Wie ist denn aus Eurer Sicht die Wohnsituation derzeit in Münster?
Edda Hattebier (EH): Es fehlt definitiv Wohnraum – vor allem fehlt günstiger Wohnraum. Schon subjektiv: Früher war es besser. Da hatte ich das Gefühl, ich bekomme noch eine bezahlbare Wohnung, die meinen Bedürfnissen entspricht. Heute kann ich nicht mehr wirklich frei entscheiden, wo und wie ich wohnen will. Das ist das, was ich erlebe.
Matthias (MK): Die Wohnsituation ist sehr gespalten. Es gibt ja viele, die noch eine Wohnung bekommen. Das sind aber die Leute, die viel Geld haben. Das große Problem sehe ich darin, dass viel zu wenige Wohnungen für Leute mit wenig oder sehr wenig Einkommen vorhanden sind. Die Stadt stellt für diese Leute keinen adäquaten Wohn- und Lebensraum dar. Und das hat schwerwiegende Konsequenzen für die Stadtgesellschaft.
„Nur so kann der Mietspiegel, der ja die Durchschnittsmiete darstellt, gesenkt werden“
Der Mieterverein Münster fordert 1.000 preiswerte und noch einmal 1.000 marktgerechte neue Wohnungen pro Jahr. Die Hans-Böckler-Stiftung sagt in einer aktuellen Studie, in Münster fehlen insgesamt 33.000 preiswerte Wohnungen, eine Studie der Finanz- und Immobilienbranche in Zusammenarbeit mit einigen Kommunen des Münsterlandes besagt, pro Jahr braucht es insgesamt 10.000 Wohnungen. Die letztgenannte Studie fordert deshalb eine „Willkommenskultur für Privatinvestoren“. Kann also der Markt die Misere abwenden?
MK: Das ist ja absurd. Der Markt hat diese Misere ja erst geschaffen. Und jetzt zu glauben, dass der Markt sie einfach so wieder ausbügelt, dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Das ist wieder diese Vorstellung, dass es einfach nur an Wohnungen mangelt – egal, wie sie entstehen und wie teuer die sind. Das halte ich für Unsinn! Es muss zweigleisig vorgegangen werden: Erst mal müssen die günstigen Wohnungen in der Innenstadt bewahrt bleiben, dann muss ebenfalls günstiger Wohnraum hinzukommen. Und zwar nahezu ausschließlich günstiger Wohnraum. Nur so kann der Mietspiegel, der ja die Durchschnittsmiete darstellt, gesenkt werden.
Ihr wollt, dass die Münsteraner*innen nicht länger dem „Profitstreben“ und der „Spekulation“ auf dem Wohnungsmarkt ausgesetzt sind? Was meint Ihr konkret damit?
EH: Diese „Willkommenskultur für Privatinvestoren“ ist ja so: Was interessiert Privatinvestor*innen? Der Profit. Was interessiert sie nicht? Für eine breite – gar arme – Schicht Wohnraum zu schaffen. Und das ist das, was unser Begehr ist. Es muss auf günstigen Wohnraum gesetzt werden!
MK: Es hängt ja fast alles am Bodenpreis. Eigentlich ist egal, ob da eine Hundehütte oder sonst was draufsteht. Den in den Griff zu bekommen, ist eine schwierige Aufgabe. Das will ich gar nicht verhehlen. Was mir aber fehlt, ist die Nutzung der Möglichkeiten, die andere Städte schon umgesetzt haben.
Zunächst einmal muss die Stadt den Boden, den sie hat oder kauft, auch behalten. Das ist meiner Meinung nach ein Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Sie muss mit ihrem Boden so wirtschaften, dass sie selbst nicht nach Profit strebt. So sollte sich meiner Meinung nach die Wohn+Stadtbau ausschließlich dem sozialen Wohnungsbau widmen und nicht selbst Profite erwirtschaften. Ein weiteres Beispiel wäre, dass die Stadt selbst verpachtet… Die Stadt hat bereits gut klingende Ansätze in dem Konzept „Sobomü“1 formuliert. Aber dem schönen Papier folgen halt zu wenige Taten. Reden und sich loben lassen, das reicht nicht.
Alternativen: Erbbaurecht, Gemeindebau und alternative Wohnprojekte
Ihr verweist in Eurem Grundsatzpapier auf andere Städte. Was läuft da besser?
MK: Es gibt das Beispiel Amsterdam, wenn man auf Erbbaurecht abzielt. Dort sind 80 Prozent der Stadtfläche in Gemeindebesitz. 60 Prozent werden im Erbbaurecht vergeben. Erbbaurecht hat den Vorteil, dass die Stadt weiter den Einfluss auf die Grundstücke behält, was auf diesen Flächen passiert. Oder in Wien: Dort sind 45 Prozent der Wohnungen in Genossenschafts- oder Gemeindebesitz und die durchschnittliche Kaltmiete liegt bei zirka fünf Euro pro Quadratmeter.
Von so etwas können wir hier nur träumen. Es gibt zwar einige Genossenschaften mit günstigen Mieten. Die stecken aber genau in der Misere wie andere Wohnprojekte auch. Sie kommen nicht an günstige Grundstücke oder Objekte. Es geht immer nur über Privatinvestor*innen. Viele alternative Wohnprojekte scheitern daran.
Was sind Eure Vorschläge für Münster? Wie geht es besser?
MK: Das Vergabeverfahren für Grundstücke muss geändert werden. Wir haben zwar hier auch Festpreise und Konzeptvergaben. Daher gibt es keinen Bieterwettbewerb und die Konzepte sollen zählen. Aber die Festpreise orientieren sich am marktüblichen Verkehrswert in Münster. Projekte, die keine wirtschaftlichen Gewinnabsichten verfolgen, können sich das einfach nicht leisten. Dann nützt so ein Konzeptvergabeverfahren gar nichts. Für solche Fälle muss unterhalb des Verkehrswertes vergeben werden.
EH: Die Diskussion um bezahlbaren Wohnraum geht also weiter und wir werden uns daran beteiligen. Es bleibt spannend!
Ich danke Euch für das Gespräch. Viel Erfolg Eurer Initiative!
1Ratsbeschluss vom 02.04.2014: „Sozialgerechte Bodennutzung in Münster“ – V/0039/2014
Mehr Informationen zu „Münster gehört uns allen“ unter https://msgua.de/
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