Das Starke-Familien-Gesetz: Neues Bürokratie-Monster hat Nachhilfe nötig
Von Lisa Liesner
Franziska Giffey will mit dem Starke-Familien-Gesetz mehr Kinder Chancen ermöglichen. In den nächsten Jahren soll eine Milliarde Euro ausgegeben werden, um aktiv etwas gegen Kinderarmut zu tun. Doch wird das Geld wirklich dort ankommen, wo es gebraucht wird?
Im Januar dieses Jahres stellten Bundesfamilienministerin Giffey und Bundesarbeitsminister Heil (beide von der SPD) das Starke-Familien-Gesetz vor. Es soll Familien mit kleinen Einkommen unterstützen und für faire Chancen auf eine bessere gesellschaftliche Teilhabe der Kinder sorgen. Der Kinderzuschlag wird neu gestaltet, zugleich werden die Leistungen für Bildung und Teilhabe (BuT) für Kinder und Jugendliche verbessert. Im Detail bedeutet das:
Beim Kinderzuschlag:
- Erhöhung des Kinderzuschlags auf 185 Euro pro Kind und Monat
- geringere Minderung des Kinderzuschlags durch Einkommen des Kindes wie zum Beispiel Unterhalt
- deutlich einfachere Gewährung für sechs Monate ohne rückwirkende Prüfung
Bei den BuT-Leistungen (nach dem Bildungs- bzw. dem Bildungs- und Teilhabepaket):
- Erhöhung des Schulstarterpakets von 100 auf 150 Euro im Jahr
- Wegfallen der Eigenanteile der Eltern für das warme Mittagessen in Kita und Schule sowie für die Schüler Beförderung
- Verbesserung der Lernförderung, indem es sie auch für Schüler*innen gibt, die nicht unmittelbar versetzungsgefährdet sind
Die Verbesserungen beim Kinderzuschlag sollen zum 1. Juli 2019 und 1. Januar 2020 in Kraft treten, die Neuerungen beim BuT zum 1. August dieses Jahres. „Wir investieren mit dem Starke-Familien-Gesetz in die Zukunft, weil wir Familien stärken und etwas gegen Kinderarmut tun. Das Gesetz wird das Leben von Familien mit Kindern spürbar verbessern, in denen das Geld trotz Arbeit knapp ist“, betont Ministerin Franziska Giffey.
Nicht der große Wurf
Als es am 14. Februar dieses Jahres im Bundestag präsentiert wird, sieht die Opposition darin allerdings kein Bravourstück. Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei, befürchtet mehr Bürokratie: „Das verstehen nicht mal die, die es bearbeiten müssen. Das ist doch das Problem. Ich würde gern mal Frau Giffey hier sehen, wenn sie das hier ausfüllen soll, ob sie das in einer Stunde schafft. Ich behaupte, sie würde daran scheitern!“ Auch glauben viele nicht, dass die neuen Leistungen Familien tatsächlich erreichen werden. Katja Dörner von den Grünen: „Heute nehmen 30 Prozent der Familien, die einen Anspruch haben, diesen Kinderzuschlag in Anspruch. Und das bedeutet, dass 70 Prozent der Familien, die einen Anspruch hätten und diesen Kinderzuschlag bräuchten, die leben in verdeckter Armut und das kann aus unserer Sicht nicht so bleiben.“
Kritik an dem vorgelegten Gesetzentwurf gibt es nicht nur von der Opposition, auch viele Verbände äußern ihre Skepsis nach der ersten Lesung im Bundestag. Immerhin erfährt der Entwurf vor der Verabschiedung noch einige Änderungen. „Am 21. März 2019 hat der Bundestag das Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz) beschlossen.“ Dies teilt das Giffey-Ministerium am selben Tag auf seiner Homepage mit. Im Folgenden einige Stellungnahmen von Verbandsseite zum neuen Gesetz:
Verband allein erziehender Mütter und Väter (VAMV): „Endlich starker Kinderzuschlag für Alleinerziehende!“
„Endlich: erstmals erhalten auch Alleinerziehende den Kinderzuschlag, die Unterhalt für ihre Kinder bekommen oder Unterhaltsvorschuss beziehen“, lobt Erika Biehn, Vorsitzende des Verbandes Alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV). „Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Bundestag unsere Forderung aufgegriffen hat, den sogenannten 100-Euro-Deckel aus dem Starke-Familien-Gesetz zu streichen. Von der Verbesserung können nun auch Alleinerziehende mit älteren Kindern profitieren, das ist gut“, unterstreicht Biehn. Kindeseinkommen wie Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss wird nicht mehr zu 100 Prozent auf den Kinderzuschlag angerechnet, sondern zu 45 Prozent. Eine alleinerziehende Geringverdienerin mit einem 13-jährigen Kind, das Unterhaltsvorschuss erhält, wird nach neuer Gesetzeslage Anspruch auf bis zu 62,60 euro Kinderzuschlag haben. Mit dem 100-Euro-Deckel wären es nur 13 Euro gewesen, vor der Reform waren es null Euro. Insgesamt bleiben allerdings auch nach der Reform der Kinderzuschlag und das Bildungs- und Teilhabepaket zu bürokratisch“, gibt Biehn zu bedenken. „Jeder Antrag kostet Alleinerziehende Zeit, an denen es ihnen sowieso mangelt. Eine Kindergrundsicherung, die alle Leistungen bündelt, ist eine durchschlagende Entbürokratisierung und fördert jedes Kind unabhängig von der Familienform und von dem Einkommen seiner Eltern.“
Deutsches Kinderhilfswerk: „Das sind alles kleine Bausteine zur Bekämpfung der Kinderarmut.“
Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes: „Das ‚Starke-Familien-Gesetz‘ ist ein erster Schritt zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland und stellt wichtige Weichen, um zukünftig Familien und ihre Kinder auch in verdeckter Armut besser zu erreichen. Aber zugleich werden grundlegende Widersprüche im System der Förderung armer Kinder nicht konsequent behoben. Der Kinderzuschlag bleibt weiter so kompliziert, dass selbst die Bundesregierung davon ausgeht,dass auch nach Inkrafttreten des Gesetzes nur etwa 35 Prozent der Berechtigten den Kinderzuschlag tatsächlich in Anspruch nehmen werden. Das zeigt, dass hier noch erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht. Deshalb sollte vor allem eine automatische Auszahlung des Kinderzuschlags an alle Berechtigten in Angriff genommen werden“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes. Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes sei es zu begrüßen, dass der Kinderzuschlag wie im Gesetz erhöht werden solle. „Besonders positiv ist der Wegfall der Abbruchkante, an der der Kinderzuschlag bislang schlagartig entfällt. Dafür haben wir uns als Kinderrechtsorganisation seit Langem eingesetzt“, so Hofmann.
Zukunftsforum Familie (ZFF): „Es geht stärker!“
Christiane Reckmann, Vorsitzende des ZFF, kommentiert das Gesetzesvorhaben so: „Das Starke-Familien-Gesetz ist ein wichtiger Schritt zum Abbau von Kinderarmut. Wir begrüßen, dass weitere Verbesserungen, die auch das ZFF gefordert hat, im parlamentarischen Verfahren vereinbart wurden. Hierzu zählt unter anderen die ersatzlose Streichung der vorgesehenen Grenze von 100 Euro bei der Berücksichtigung von Kindeseinkommen beim Kinderzuschlag. Damit werden Alleinerziehende die Leistung zukünftig in größerem Umfang in Anspruch nehmen können. Ebenfalls wird der Betrag für die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben (Sportverein, Musikschule) von 10 Euro auf 15 Euro erhöht, und weitere Aufwendungen wie etwa Fußballschuhe können leichter beantragt werden. Das ZFF fordert mehr Mut für nachhaltigere Reformen. Der Kinderzuschlag ist und bleibt eine komplizierte Leistung. Zu den Reformen beim Bildungs- und Teilhabepaket bleibt festzuhalten, dass dort, wo die infrastrukturellen Voraussetzungen nicht gegeben sind, die Leistungen auch nicht abgerufen werden können.
Um bürokratische Hürden nachhaltig zu beseitigen und alle anspruchsberechtigten Familien zu erreichen, könnte in einem weiteren Schritt die automatische Auszahlung des Kinderzuschlags gemeinsam mit dem Kindergeld in voller Höhe des sächlichen Existenzminimums angegangen werden.“
Caritas: Einbindung von Wohnleistungen
„Das vom Bundeskabinett beschlossene ‚Starke-Familien-Gesetz‘ beinhaltet wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut von Kindern und ihren Eltern. Die Neugestaltung des Kinderzuschlags ist eine echte Verbesserung“, betont Caritas-Präsident Peter Neher. Problematisch sei allerdings, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen neuen Freibetrags- und Anrechnungsregelungen weiter intransparent und für die Leistungsempfänger*innen kaum nachvollziehbar seien, eine Kritik, die der Deutsche Caritasverband bereits an den bestehenden Regelungen geübt hat. „Gesetze, die soziale Gerechtigkeit schaffen sollen, von den Begünstigten aber nicht nachvollzogen werden können, verfehlen ihr sozialpolitisches Ziel“, so Neher. Er würdigt die im Gesetz vorgesehenen Leistungsverbesserungen bei den Bildungs- und Teilhabeleistungen. Der Gesetzentwurf greife allerdings insgesamt zu kurz. „Um Armut von Kindern und Familien umfassend und nachhaltig zu bekämpfen brauchen wir ein Konzept, in welchem die verschiedenen bestehenden Transferleistungen für Kinder und Familien einbezogen werden. Insbesondere müssen die Wohnkosten berücksichtigt werden, die gerade für Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen in Ballungszentren ein großes Problem darstellen“, fordert Neher. Eine wirklich „Starke-Familien-Politik“ brauche daher eine dynamische Einbindung von Wohngeldleistungen.
Familienbund der Katholiken (FDK): „Es sollte mehr kostenfreie Leistungen für alle Kinder geben.“
Familienbund-Präsident Ulrich Hoffmann: „Das ressortübergreifende Gesetzesvorhaben von Bundesfamilien- und Bundessozialministerium enthält Licht- und Schattenseiten. Während die Änderungen beim Kinderzuschlag deutlich positiv zu bewerten sind, fällt die Bilanz beim Bildungs- und Teilhabepaket kritisch aus. Eine große Reform, die wir Familien gewünscht hätten, ist es nicht geworden. Statt auf die Erhöhung von Sachmitteln für Schule, Nachhilfeunterricht und die Teilnahme an Sportvereinen allein für bedürftige Kinder zu setzen, sollte es mehr kostenfreie Leistungen für alle geben. Das Vorurteil, Sozialleistungen für Kinder aus armen Familien würden nicht ankommen, ist inzwischen widerlegt. Hinzu kommt: Im BuT versickern jährlich nach Expertenschätzungen astronomische Summen in der Verwaltung, ohne Kinder zu erreichen, 2015 rund 180 Millionen Euro. Das ist eine enorme Verschwendung von Steuermitteln, die durch gigantischen bürokratischen Aufwand entsteht in Schulen, in Behörden, in Verwaltungen und bei den Eltern durch komplizierte Beantragungen. Daran wird auch ein Ausbau des BuT wenig ändern, so sinnvoll die Weiterentwicklung einzelner Instrumente der individuellen Förderung von Kindern aus armen Familien auch ist. Das BuT ist deshalb an seiner Ineffizienz gescheitert und muss besser heute als morgen abgeschafft werden, damit künftig möglichst jeder staatlich bereitgestellte Euro auch tatsächlich Kinder armer Familien erreicht.“
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