Die berufliche Eingliederung von psychisch Erkrankten wird in Israel viel stärker gefördert als bei uns
Von Regina Ioffe
Führerschein, Bachelor-Abschluss, Master-Abschluss. Eigenes Auto. Ein Job im Elektronik-Bereich, eine Beschäftigung an einer Hochschule, die Arbeit bei einem großen internationalen Konzern. Eine scheinbar unauffällige Biographie eines Hochschulabsolventen. Eine Biographie, die aber eine ganz andere Seite hat: Sie enthält fünf Krankenhausaufenthalte in einer Psychiatrie wegen akuter Psychosen.
Und sie enthält den Mut, trotz der eingenommenen Tabletten, die intellektuelle Fähigkeiten hemmen und schläfrig machen, ein Studium bis zum Bachelor-Abschluss zu führen. Oder den Ehrgeiz, sich weiter qualifizieren zu wollen und ein Master-Studium zu beginnen. Oder den Job, der manchmal durch Klinik-Aufenthalte unterbrochen war.
Klingt unglaubwürdig? Zu gut, um wahr zu sein?
Der typische Weg eines*r Studierenden mit einer schweren psychischen Erkrankung in Deutschland wäre ein Studienabbruch und eine darauffolgende Langzeitarbeitslosigkeit. Das Stigma einer solchen Erkrankung wirkte auf deutsche Arbeitgeber nachhaltig abschreckend.
Völlig andere Rahmenbedingungen in Israel für psychisch Kranke
Die eingangs beschriebene Bildungs- und Arbeitsbiographie handelt gar nicht in Deutschland, sondern in Israel. In dem jüdischen Staat herrschen ganz andere Rahmenbedingungen für psychisch erkrankte Menschen. Ihre Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ist in Israel keine Seltenheit. Die Vermittlungsquote beträgt 25 bis 30 Prozent; wohl gemerkt: Es geht um den ersten Arbeitsmarkt.
Vorurteilen und Berührungsängsten von Arbeitgebern wird dort systematisch vorgebeugt. Arbeitgeber und ein psychisch erkrankte*r Beschäftigte*r haben immer einen festen Ansprechpartner bei Reha-Einrichtungen, sowohl in der Vorbereitungsphase als auch bei der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es gibt keinen ständigen Träger- bzw. Maßnahmen-Wechsel wie in Deutschland. Das hat große Vorteile, weil die Kontinuität und Zuverlässigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen zum Job-Coach eine besondere Rolle bei psychischen Erkrankungen spielen.
Ein psychisch erkrankter Mensch wird in Israel durch seinen Job-Coach nicht bevormundet, dagegen wird gemeinsam nach Stärken und Fähigkeiten gesucht, die eine Integration auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtern. Die betroffene Person bestimmt die gewünschte Arbeitstätigkeit und das Tempo seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wenn sich ein Rückfall ankündigt, was bei psychischen Erkrankungen leider häufig vorkommt, ist jederzeit ein Wechsel vom ersten Arbeitsmarkt in einen geschützten Tätigkeitsbereich möglich.
Aktive und sinnvolle Förderung der Integration in den Arbeitsmarkt
Der Arbeitslohn eines psychisch erkrankten Menschen, genauso wie der eines*r Arbeitnehmers*in mit einer anderen anerkannten Schwerbehinderung, wird in Israel steuerlich wesentlich geringer besteuert. Das regeln die jeweiligen Finanzämter vor Ort.
Wenn ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer ein geringeres Bruttogehalt im Vergleich zu einem nicht-behinderten Arbeitnehmer bezahlt, führt die individuelle Steuerermäßigung dazu, dass das Netto-Gehalt gleich oder eventuell höher ausfällt, als das eines nicht-behinderten Arbeitnehmers.
So ein Modell ist attraktiv für Arbeitgeber, die dadurch Ausgaben für Gehälter sparen. Außerdem kommen Arbeitgeber in den Genuss zusätzlicher steuerlicher Vorteile für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Dabei werden beide, sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, über steuerliche Mechanismen so lange entlastet, wie die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers andauert.
Es gibt also keine zunehmende stufenweise Absenkung von steuerlichen Vorteilen während der Beschäftigung eines*r behinderten Arbeitnehmers*in. Somit entsteht ein Anreiz für eine Langzeitbeschäftigung. Ein Arbeitgeber hat daher keinen finanziellen Grund und keine Möglichkeit, eine behinderte Person nur bei einer maximalen Förderung einzustellen und später nach der Ausschöpfung der maximalen finanziellen Vorteile wieder zu entlassen, wie es in Deutschland praktiziert wird (zweijährige Befristung beim Eingliederungszuschuss und bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, fünfjährige Befristung bei Förderung durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt).
Außerdem sind behinderte Menschen in Israel von der Arbeitslosenversicherung nicht ausgeschlossen, wie es die deutsche Förderung nach § 16i SGB II (Teilhabe am Arbeitsmarkt) und § 16e SGB II (Eingliederung von Langzeitarbeitslosen) vorsieht.
Eine Langzeitbeschäftigung von behinderten Menschen in Israel beinhaltet die Möglichkeit, dass sie ihre beruflichen Qualifikationen gar nicht verlieren, sondern weiterentwickeln können. Ein weiterer riesiger Unterschied zu Deutschland.
Ein Rechtsanspruch auf steuerliche Vorteile begünstigt die Gleichstellung
In Israel haben behinderte Menschen sogar einen Rechtsanspruch auf steuerliche Vorteile bei der Beschäftigung. Anders als in Deutschland entscheiden dort keine Arbeitsagenturen oder Jobcenter darüber, die von der finanziellen Situation und der Haushaltslage der jeweiligen Kommune abhängig sind. Überschuldete Gemeinden in Deutschland sind als Beschäftigungsträger für Behinderte und Langzeitarbeitslose ausgeschlossen, sie haben dafür kaum finanziellen Spielraum.
Ein „Rehabilitations-Korb“ für psychisch Erkrankte beinhaltet nach dem israelischen Gesetz (Rehabilitation of Mentally Ill People in the Community Law, 5760-2000) mehrere Lebensbereiche: Nicht nur Wohnung oder Gesundheit, auch Bildung, Arbeitstätigkeit, Freizeit, Unterstützung für Familienangehörige gehören dazu. Die Hoffnung bildet dabei nicht nur ganz allgemein die Grundlage für die Entwicklung im Leben, sie spielt hier ebenso eine zentrale Rolle bei der Rehabilitation. Diese wird persönlich ausgerichtet auf die Bedürfnisse, Werte, Wünsche des betroffenen Menschen.
Armin Lang, Landesvorsitzender des Sozialverbandes VdK Saarland, kritisierte 2018 die Befristung der Fördermaßnahmen in Deutschland: „Die Betroffenen sind aufgrund permanenter Befristung der Beschäftigungsmaßnahmen durch die Erfahrung geprägt, dass danach, auch bei aller Anstrengung, wieder die große Leere folgt. Dies zermürbt, demotiviert, dequalifiziert und desintegriert. Unbefristet öffentlich geförderte Arbeitsverhältnisse und der Umstieg in den sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt sind kein Widerspruch. An dem Bedarf von sinnvoller, würdiger und wertschöpfender Arbeit mangelt es weder im Saarland noch in irgendeinem anderen Bundesland.“
Man könnte also auch in ganz Deutschland diesen Erfahrungen aus Israel mit einer dauerhaften und erfolgreichen Eingliederung der Behinderten in den allgemeinen Arbeitsmarkt folgen und umsetzen.
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