Ein Gastbeitrag von Frank Biermann.
Wenn die Rente nicht reicht: Immer mehr Menschen in Münster sind neben ihren Altersbezügen auf staatliche Stütze angewiesen. Die Zahl der Empfänger*innen von „Alters-Hartz-IV“ stieg innerhalb von zehn Jahren um 50 Prozent. Gab es in Münster 2008 noch 3.226 Bezieher*innen von Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, so waren es im vergangenen Jahr bereits 4.834. Das teilt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit. Die NGG beruft sich hierbei auf Angaben des Statistischen Landesamtes. Danach erhielten in ganz Nordrhein-Westfalen zuletzt rund 280.000 Rentnerinnen und Rentner Grundsicherung – 44 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor.
Rentenpolitische Kurskorrektur gefordert
Helge Adolphs, Geschäftsführer der NGG-Region Münsterland, sieht den Trend mit Sorge – und fordert eine „rentenpolitische Kurskorrektur“. Insbesondere die von der Bundesregierung angekündigte Grundrente müsse rasch angepackt werden, um ein Ausufern der Altersarmut in der Stadt zu verhindern.
„Die amtlichen Zahlen zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Denn sehr viele Menschen, die wegen Mini-Renten eigentlich einen Anspruch auf die Grundsicherung haben, schrecken aus Scham vor einem Antrag zurück“, sagt Adolphs. So sind nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bundesweit aktuell bereits 16,8 Prozent der Rentner von Armut bedroht. Ohne die Einführung einer Grundrente könnte das Armutsrisiko laut DIW bis zum Jahr 2039 auf 21,6 Prozent steigen – selbst bei einer weiterhin positiven Konjunkturentwicklung.
Kritik an Tarifflucht und Minijobs
„Eine entscheidende Ursache für dürftige Renten sind niedrige Einkommen. Auch wer Jahrzehnte in einer Bäckerei oder einem Restaurant gearbeitet hat, landet im Alter oft unter der Armutsschwelle. Das liegt auch an der Praxis vieler Unternehmen, aus Tarifverträgen auszusteigen und so die Löhne zu drücken. Hinzu kommt der Trend zu Teilzeit und Minijobs“, erklärt Gewerkschafter Adolphs.
Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung: Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Rentensystem
Hier setze die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geplante Grundrente an: Danach sollen die Bezüge von Menschen, die mindestens 35 Jahre lang gearbeitet haben und bei der gesetzlichen Rente trotzdem unter die Grenze von 896 Euro kommen, um bis zu mehrere Hundert Euro im Monat aufgebessert werden. „Das Modell wäre ein wichtiger Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Rentensystem. Es würdigt die Leistung von denen, die ein Leben lang in die Rentenkasse eingezahlt haben“, betont Adolphs.
Ausschlaggebend sei aber, dass es dabei keine Bedürftigkeitsprüfung gebe. „Wer eine solche Prüfung fordert, trifft die Falschen, weil es in den allermeisten Fällen um Haushalte mit kleinen Einkommen geht. Eine Bedürftigkeitsprüfung steht auch dem Rentenprinzip entgegen, nach dem Beitragszahler*innen einen individuellen Leistungsanspruch erwerben“, so Adolphs.
Jetzt „ernst machen“
Die NGG fordert die Große Koalition auf, bei dem Thema jetzt „ernst zu machen“. Wer Jahrzehnte gearbeitet habe, habe mehr verdient als die bloße Grundsicherung. Am Ende stehe ein Stück des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf dem Spiel. „Für Tausende Beschäftigte allein in Münster stellt sich die Frage, ob ein würdiger Lebensabend in Zukunft noch möglich ist“, warnt Adolphs. Diese Sorge dürfe die Politik nicht ignorieren. Sie müsse jetzt die nötigen Mittel aufbringen, um Altersarmut im großen Stil zu stoppen.
Das Bundesarbeitsministerium geht bei der Grundrente von jährlichen Kosten von etwa fünf Milliarden Euro aus. Helge Adolphs: „Allein die Bankenrettung im Jahr 2008 hat den Steuerzahler*innen rund 60 Milliarden Euro gekostet.“
Zuerst erschienen in der Münsterschen Volkszeitung.
- Keiner will mehr arbeiten - 31.10.2024
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