Beim Festival in Rudolstadt feierte die ganze Welt in der Provinz
Heiß war es wieder. An allen vier Tagen Anfang Juli meinte es das Wetter gut mit Rudolstadt. Schnell machte sich eine gelöste und entspannte, aber erwartungsfreudige Stimmung unter den Besucher*innen breit. Wenn es einen Oskar für ein einmaliges Publikum geben würde, beim Rudolstadt-Festival könnte man fündig werden.
Schon beim Eröffnungskonzert von Amy Mac Donald im Heyne-Park kam das Festival an seine Grenzen. Denn es war voll. So voll wie noch nie. Die Veranstalter sprechen von mehr als 100.000 Festivalbesuchern. Was bei normalen Veranstaltern Grund zur Freude wäre, wird in diesem Fall die Verantwortlichen ins Grübeln bringen. Denn das Festival lebt von der fast familiären Atmosphäre, von der Möglichkeit, auf den 23 Bühnen ganz nah mit dabei sein zu können. Das war zumindest bei der Eröffnung nicht mehr drin. Glücklicherweise verteilte sich in den folgenden Tagen das Geschehen auf die vielen kleinen und großen Bühnen, und der Festivalzug konnte seine volle Fahrt aufnehmen.
Der vielumjubelte Länderschwerpunkt lag in diesem Jahr auf Schottland. Und er wurde bestens bespielt: Angefangen von der bereits genannten Amy Mac Donald über Sketch bis hin zu Fred Morrison, der Ingwer Malmsteen des Dudelsacks. Gekrönt mit einem Special über die schottische Nationallegende Robert Burns („Auld lang syne“, „A man for a’that“ und andere mehr), in welchem Künstler aus verschiedenen Regionen die Lieder von Robert Burns interpretierten. Passend zu diesem Sonderkonzert wurde auf der Heidecksburg ein umfangreiches Arsenal an Whiskey-Sorten dem kenntnisreichen Gaumen dargeboten.
Die ganze Stadt im fröhlichen musikalischen Ausnahmezustand
Genauso beeindruckend waren die vielen kleineren Konzerte der Straßenmusiker, im sonnigen Handwerkerhof oder völlig unorganisiert in irgendwelchen Hinterhöfen. Wo man auch lang ging, von irgendwoher kamen Flötenklänge, Gitarrengezupfe, Maultrommeln oder Geigentöne. Die ganze Stadt im fröhlichen musikalischen Ausnahmezustand. Wieder mal. Und immer wieder mal dicht umlagert das Tanzzelt im Heinepark. „Sketch“ aus Schottland verstanden es bestens, die Tanzwut der Festivalbesucher zu bedienen. Schon nach dem dritten Stück wurde nach Zugaben gerufen. Was selbst für Rudolstädter Verhältnisse unüblich ist.
Aber die große Entdeckung in diesem Jahr war das fantastische Konzert von Asif Avidan. Begleitet von Bass, Schlagzeug und Keyboard lieferte der junge israelische Shootingstar ein wirklich reifes Konzert ab. Vornehmlich Musik aus der aktuellen CD wurde gespielt. Und sein großer Hit aus dem Jahr 2012 („Reckoning“) wurde schon im vorderen Teil platziert. Was manche junge Zuhörer dazu veranlasste, danach das Konzert zu verlassen. Für die anderen Konzertbesucher blieben die Ohren frei für das Neue, die entspannte Mischung aus Country, Americana und Blues.
Was bei den vielen gleichzeitigen Konzerten in Rudolstadt immer wieder passiert: Eine Entscheidung für ein Konzert ist oft auch eine Entscheidung gegen andere Konzerte. Also tut man gut daran, im Vorfeld im prallen Programmheft die Kreuzchen mit Bedacht zu setzen. Und immer viel Luft zu lassen zwischen den Konzerten für das wundervolle Drumherum. Denn dieses Festival ist ein Gesamtkunstwerk. Angefangen bei der akribischen Programmauswahl über die einzigartige Deko bis hin zu den oft ungewöhnlichen Essensständen und vor allem den freundlichen Mitarbeiter*innen. Und natürlich nicht zu vergessen: das Kinderprogramm!
Wer mit Kindern her kommt, kann sich bereits in der ersten Hälfte des Heineparks verlieren. Hier findet das Kinderfest statt, seit Langem fester Bestandteil des Festivals und für viele Familien das eigentliche Highlight. Denn wer hier nur Hüpfburg und Kinderschminken erwartet, wird überrascht sein. Ein Potpourri aus traditionellem Handwerk, fabelhafter Deko und kunterbunten Darbietungen ergibt zusammen ein sommerlich-märchenhaftes Wunderland.
Selbermachen ist im Handwerkerdorf die Devise: Körbe flechten, die Kunst des Seilerns kennenlernen, Workshops zu Holzarbeiten besuchen oder oder oder… Überall zu spüren ist die Hingabe und Begeisterung, mit der alle bei der Sache sind.
Das Festival ersetzt den Familienurlaub
Abtauchen können die Besucher auch in der phantastisch anmutenden Welt der Kulturinsel Einsiedel: Baden im Hexenkessel, auf der Baustelle Schwartenbretter zu bisher unbekannten Gebilden zusammennageln oder auch – wie die Großen – der Musik auf der Bühne lauschen. Genau, ein Bühnenprogramm gibt es auch auf dem Kinderfest. Mit bezaubernder Jonglage, Clownerie und Musik.
Allerdings hat man bei den Highlandgames und ihrer Clansparade am Samstag auch ohne Bühnen viel zu gucken und zu lauschen: Märchenhafte Figuren, viele Schottenröcke und mitreißende Samba-Klänge. Der fröhliche musikalische Ausnahmezustand gilt auch hier. Doch im Kleinen ist es in Rudolstadt wie im Großen: Bei so einem zauberhaften Programm wird man zwangsläufig etwas verpassen.
Offensichtlich schaffen es trotzdem viele Familien mit ihren Kindern auf das „große“ Festival. Denn Kinder gehören hier selbstverständlich dazu. Für viele langjährige Besucher ersetzt das Festival mittlerweile den Familienurlaub. Dass dies so entspannt geht, liegt sicher auch daran, dass hier die Musik und das friedliche Miteinander im Mittelpunkt stehen und nicht der Exzess wie auf manch anderen Festivals. Kindertänze mit Sigrid Doberanz und Wimmerschinken stehen selbstredend mit auf dem Programm. „Außerdem ist das Schwimmbad direkt nebenan“, schwärmt ein Vater. Seine Töchter vergnügen sich gerade an einem der skurrilen Spielgeräte, die man überall in Rudolstadt entdeckt. An den mannshohen Marionetten und den Riesen-Didgeridoos aus Schläuchen und Blasebalgen erfreuen sich allerdings nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene wie den Erbauer Stefan Ude: „Es macht mir Spaß, meine ungewöhnlichen Ideen in die Tat umzusetzen. Schön, dass ich hier die Möglichkeit dazu habe.“
Das Ungewöhnliche und Neue ausprobieren – das sind die Charakteristika des Festivals, die immer wieder für Überraschungsmomente sorgen. Wer sich jetzt selber überzeugen möchte: Das nächste Festival findet vom 5. bis 8. Juli 2018 statt. Es ist sehr ratsam, dafür schon frühzeitig Karten zu bestellen. Denn die Karten sind limitiert und die Nachfrage wächst mit jedem Jahr. Nach Klein-Woodstock wollen viele.
Von Lisa Liesner & Norbert Attermeyer – Fotos: Peter Andres
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