Am 10. September 2019 war die Anhörung zum Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz (RISG – kurz: Intensivpflegegesetz).Die Betroffenen hatten sich schon bei Bekanntwerden des Gesetzentwurfes zu Wort gemeldet und kritisierten, dass Beatmungspatient*innen in Spezialeinrichtungen „abgeschoben“ würden und damit ihrer Selbstbestimmung beraubt. Auch der Sozialverband VdK und der paritätische Wohlfahrtsverband kritisieren die Einschnitte bei der Selbstbestimmung.
VdK: „Es darf keine Rückschritte bei Teilhabe und Selbstbestimmung geben“
Der Sozialverband VdK sieht den stärksten Nachbesserungsbedarf beim Gesetzentwurf zum Intensivpflegegesetz bei der Frage, ob Patientinnen, die auf außerklinische Intensivpflege angewiesen sind und beatmet werden müssen, dies künftig nur noch in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in „Beatmungs-WGs“ tun können. Nur an diesen Orten sollen laut Entwurf die Kosten von den Krankenkassen bezahlt werden. Zu Hause soll die Versorgung nur noch ausnahmsweise und nach intensiver Prüfung durch die Kassen möglich sein. Der VdK fürchtet, dies könne Patientinnen, die bisher zu Hause beatmet wurden, zu einem Umzug in ein Heim zwingen.
„Das ist eine schlimme Vorstellung“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des VdK. „Der VdK lehnt das klar ab. Es darf niemand gezwungen werden, sein Zuhause zu verlassen, erst recht nicht rein aus finanziellen Gründen. Patient*innen müssen jederzeit ein Wunsch- und Wahlrecht darüber haben, wo sie leben wollen. Das gebietet allein das in der Verfassung verankerte Recht auf Freizügigkeit. Würde der Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums in seiner jetzigen Form verabschiedet, würde er die Selbstbestimmung betroffener Menschen radikal verletzen.“
Darüber hinaus seien solche Regeln ein Rückschritt bei der Teilhabe etwa von Menschen mit Behinderungen. Denn viele werden heute zu Hause beatmet und führen dort etwa mit Hilfe von Assistenzmodellen ein selbstbestimmtes Leben, machen Ausbildungen, sind berufstätig oder ehrenamtlich engagiert, so Verena Bentele.
„Der Gesetzentwurf zeigt sehr viel Schatten und nur wenig Licht“, betont Verena Bentele. Zu den begrüßenswerten Neuerungen im Gesetzentwurf zählt VdK-Präsidentin Verena Bentele die Regeln zur geriatrischen Rehabilitation. Dem Gesetzentwurf nach sollen Patientinnen, die eine geriatrische Rehabilitation brauchen, diese in Zukunft einfacher bekommen als bisher. Künftig sollen niedergelassene Hausärzte geriatrische Rehabilitationen verordnen, damit würden zeitaufwendige Antrags- und Genehmigungsverfahren bei den gesetzlichen Krankenkassen entfallen. „Die aktuellen Verfahren sind weder zeitgemäß noch nützen sie den Patientinnen, im Gegenteil können sie Betroffene sogar schädigen“, sagt Verena Bentele.
„Gerade nach Akutversorgungen führen die zeitaufwendigen Bewilligungsverfahren bei den Kassen nämlich oft zu Versorgungslücken und gefährden so den Erfolg bei den Reha-Maßnahmen.“ Jetzt müsse der nächste Schritt sein, auch die Anträge bei allen medizinischen Rehabilitationen fallen zu lassen und auch diese Verfahren zu vereinfachen, so Verena Bentele.
Paritätischer: Das wäre „ein eklatanter Verstoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung“
Auch der Paritätische Gesamtverband mahnt deutliche Nachbesserungen am Gesetzentwurf an. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würden Selbstbestimmung und Wahlrecht der Betroffenen eingeschränkt, kritisiert der Verband. „So richtig die Einführung eines Rechtsanspruchs auf außerklinische Intensivpflege ist, so falsch sind die geplanten Einschränkungen des Wunsch- und Wahlrechtes der Betroffenen. Wenn Patient*innen den Ort, wo sie gepflegt werden, nicht selbst wählen dürfen, wäre das ein eklatanter Verstoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung“, so Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes mit Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Die Wahl obliege nur den Gepflegten, ihren Angehörigen oder der gesetzlichen Betreuung. Der von Gesundheitsminister Spahn vorgelegte Referentenentwurf müsse dahingehend korrigiert werden.
Die Einführung eines neuen eigenständigen Leistungsanspruchs auf außerklinische Intensivpflege und die Verankerung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Pflege“ bei den Reha-Leistungen sei dabei im Grundsatz zu begrüßen. Nachbesserungsbedarf sieht der Paritätische jedoch auch bei weiteren Regelungen im Detail, unter anderem der invasiven Beatmung und der Entwöhnung in den Krankenhäusern. Hier fehle es nach Ansicht des Verbandes flächendeckend in der Ausstattung und Strukturen. „Leider fehlt es immer noch flächendeckend an Fachpersonal und Entwöhnungszentren. Hier ist noch einiges aufzuholen“, so Rosenbrock.
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