Ein Festival ganz im tropischen Klima
Es gibt eine Tradition in Rudolstadt, die fast immer zu funktionieren scheint: Das Wetter passt sich dem jeweiligen Länderschwerpunkt an. Das hat mit Regen bei dem Schwerpunkt England geklappt und nun auch bei Kuba. Aber der Reihe nach. Es folgt ein Bericht von allen vier Festivaltagen Anfang Juli – diesmal als musikalisches Tagebuch.
Von Norbert Attermeyer
Tag 1
Nach holpriger Anreise – der Zug blieb auf der Strecke liegen, es gab Verspätungen und geplatzte Verbindungen; kurzum, eine ganz normale Reise mit der Bundesbahn – hatte ich abends endlich die vorletzte Station nach Rudolstadt erreicht: Jena Göschwitz. Auf dem Bahnsteig hatten sich bereits einige Mitreisende versammelt, die erkennbar zum Festival wollten. Neben mir ein Mann mittleren Alters mit Gitarrenkoffer in der Hand, der gerade einer Person an seinem Handy erklären wollte, wohin er denn jetzt wohl fährt. Als unfreiwilliger Zeuge dieses Gesprächs und aus eigener Erfahrung dachte ich mir nur: Versuch‘ es ruhig, das zu erklären, aber verstehen wird man dich doch nicht.
Und was hätte er auch sagen können: Da gibt es eine beschauliche Stadt an der Saale, mit einem über ihr thronenden Schloss und einem weitläufigen Park. Von überall erklingt Musik, ob von zahlreichen Bühnen (bis zu 25) oder aus verwinkelten Gassen. Über 90.000 Besucher und Besucherinnen, verteilt auf die vier Festivaltage. Ein tiefenentspanntes, herzliches Publikum. Künstler aus diversen Ländern. Einen Länderschwerpunkt (in diesem Jahr also Kuba), und dann noch die Straßenmusik oder das bunte Treiben beim Kinderfest im Heinrich-Heine-Park. All das hätte er sagen können und einiges hat er auch gesagt. Aber allein, es hätte nicht das wiedergeben können, was wirklich war. Heiß war es in diesem Jahr. Jeden Tag kletterte das Thermometer schnell auf über 30 Grad und das schon zur Mittagszeit. Besonders begehrt waren bei den Konzerten die Schattenplätze unter den Bäumen. Das Wetter machte dem diesjährigen Länderschwerpunkt alle Ehre.
Für einen fulminanten Festivalauftakt am Donnerstag sorgte die Buena-Vista-Social-Club-Legende Eliadas Ochoa. Salsa, gepaart mit kubanischer Spielfreude. Und als schließlich der Chan Chan durch den Heine-Park schallte, war der Grundstein für die erwartungsfrohen Tage gelegt.
Anschließend ließen die finnischen Folkrocker Steve‘n‘Seagulls die Konzertbühne erzittern. Druckvoll und präzise lieferten sie ihre Rock-Show mit dem Speed-Banjo ab. Gleich mit den ersten Takten von „Enter Sandman“ machten sie klar, dass sie auch vorm Covern nicht haltmachen. Metallica hätte es sicher gefallen. Eigens für diesen Auftritt in Rudolstadt hatten die Finnen übrigens ihre aktuelle Tournee in Schweden unterbrochen. Dem Publikum war es nur recht, die Band wurde stürmisch gefeiert.
Nachts um ein Uhr kletterte dann noch die nigerianische Band Bantu auf die große Bühne im Heine-Park und ließ mit Afrobeats und Highlife-Musik den ersten Abend ausklingen.
Tag 2
Der nächste Tag begann musikalisch etwas ruhiger bei der neuen Bühne der Bauernhäuser im Heine-Park. Die Schattenplätze waren schnell belegt. Völlig entspannt konnte man in der frühen Nachmittagshitze den Liedern von Tony Avila lauschen. Er singt und komponiert kubanische Lieder in der sogenannten Trova-Tradition. Und ist damit sehr erfolgreich, erhielt diverse Auszeichnungen und eine Grammy-Nominierung. Genau die richtige Musik für einen heißen Sommernachmittag.
Es blieb Zeit, zu relaxen und schon einmal Schattenplätze zu suchen nahe der großen Bühne im Park. Denn es folgte der Auftritt von Luca Bassanese & La Piccola Orchestra Populare. Italienische Musik von Opera Buffo über Tarantella bis hin zu Balkan Brass. Viel los also auf der Bühne. Maestro Luca Bassanese hatte das Publikum gut im Griff. Immer wieder forderte er zum Mitsingen und Mittanzen auf und die Leute ließen es sich nicht zweimal sagen. Vor der Bühne entstand eine regelrechte Staubwolke, die sich auf die schwitzenden Leiber legte. Erfrischung brachten nur die mitgebrachten Wasser-Pistolen. Und als Luca Bassanese zum Schluss „Bella Ciao“ anstimmte, hatte er die Herzen des Publikums endgültig erobert.
Der anschließende Auftritt von Pamela Badjogo auf der Konzertbühne war die ideale Adresse für die Überleitung dieser Stimmung. Die Sängerin aus Gabun, die nach eigenen Angaben einen „fröhlichen Feminismus“ propagiert, rührte im Gabun-Stil einen Mix irgendwo zwischen Afro-Pop, Afro Beat und Highlife an. Trotz der Hitze und trotz der knalligen Sonne vor der Bühne ließen es sich viele nicht nehmen, zu dieser Musik die Hüften zu schwingen.
Fast schon eine Erleichterung war gegen Abend das Konzert der Slow Show aus England. Der Name war Programm. Einfühlsame, ruhige Klänge, die sich langsam, aber stetig steigerten und über allem die besänftigende, manchmal an David Sylvian erinnernde Stimme von Rob Goodwin. Er war es auch, der sich immer wieder dafür bedankte, auf diesem wundervollen Festival spielen zu dürfen. Er käme sich vor wie in seinem heimischen Wohnzimmer. Ein wundervolles Konzert.
Später, in der Nacht, konnte man bei den Bauernhäusern noch dem Lena Jonsson Trio zuhören. Die aus Schweden stammende Geigerin Lena Jonsson hat schon jede Menge Preise eingeheimst. Eine wahre Virtuosin an der Geige, wie sie mit ihrem lauschigen Konzert in dieser Sommernacht in Rudolstadt bewies.
Tag 3
Das Bergfest in Rudolstadt ist erreicht: zwei Tage sind rum, zwei kommen noch.
Auch der Samstag sollte wieder heiß werden. Weit über 30 Grad. Für den Sonntag wurden sogar 37 Grad vorhergesagt. Schatten war angesagt und Ruhe. Beides gab es wieder bei den Bauernhäusern im Heine-Park. Den musikalischen Auftakt gab diesmal Ali Doğan Gönültas mit seinem Trio. Ein bewegender Auftritt, der einen direkt in seine Heimat Ost-Anatolien versetzte. Poetisch, schwermütig, aber immer auch lebensfroh. Im Anschluss ging die neue irische Hoffnung, das Daoirí Farrell Trio, auf die Bühne. Irische Musik, wie man sie kennt und liebt. Daoirí Farrell ist mit einer Stimme gesegnet, die das ganze Konzert zu einem wahren Genuss machte. Im Anschluss kam Ali Doğan noch einmal mit seinem Trio auf die Bühne und legte mit dem irischen Trio eine mitreißende Jam-Session hin, die im Internet viral ging.
Die aus Portugal stammenden Albaluna demonstrierten anschließend auf der großen Bühne, dass Progressive-Metal sich gut mit mittelalterlichen Instrumenten verträgt. Einzig die Drehleier brauchte einen Extra-Sonnenschirm, weil sie keine knallige Sonne verträgt.
Zeit für einen Besuch der Innenstadt. Aus allen Gassen, an allen Ecken erklingt handgemachte Musik. Stände laden zum Verweilen ein. Der Hunger siegt. Erst mal in Ruhe was essen. Dann wieder hinaus auf den Markt. Und die Menschen klatschen im Takt einem mittlerweile alten Bekannten zu: Luca Bassanese. Im Nu hat er den großen Marktplatz in eine italienische Piazza verwandelt. Wunderbar.
Zurück in den Heine-Park. Auf dem Programm steht diesmal Faun, eine aus Bayern stammende Pagan-Folk- Gruppe. Pagan-Folker sind die Esoteriker der Mittelalterszene und ernähren sich – ganz anders als erwartet – vegan. Wobei sie ein besonderes Augenmerk auf Inhalt und Aussage ihrer Musik legen. Diese ist angesiedelt zwischen Gothic, Dark Wave und Metal. Hauptsächlich gespielt mit mittelalterlichen Instrumenten, Synthesizer fehlen aber auch nicht. Mit ihrer Show wusste Faun auch optisch zu beeindrucken.
Anschließend ging es noch einmal in die Innenstadt, wo der langjährige Mitarbeiter der Marktbühne, Sascha Gelb, die einmalige Gelegenheit bekam, spät nachts auf der großen Marktbühne den DJ zu geben. Unterhaltsam war’s.
Tag 4
Der letzte Tag des Festivals war angebrochen. Traditionell zur Mittagszeit vor der großen Bühne im Heine-Park. Los Munequitos spielten ursprüngliche Rumba-Musik aus Kuba mit Trommeln und Gesang.
Danach: Entspannung, Treibenlassen durch die Innenstadt. Ganz nebenbei das wunderbare Konzert von Cole Quest & The City Pickers. Americana und Bluegrass vom Neffen Woody Guthries auf dem Neumarkt. Dann schließlich die Abschluss-Revue auf dem Markt mit diversen Musikern und Musikerinnen vom Tage. Und die Möglichkeit, sich an den verschiedenen kulinarischen Ständen noch für den Abend zu stärken. Ein besinnlicher Ausklang des Festivals – wie in jedem Jahr. Bevor dann Jazzrausch im Heine-Park mit ganz großem Besteck noch einmal druckvoll aufspielten und endgültig den letzten Akkord erklingen ließen.
Das war’s in diesem Jahr. Und es ist trotz allem nur ein kleiner Ausschnitt. Ein alter Traum ist ja der, am Ende des Festivals in einer Art Zeitreise wieder zurück zum Anfang gehen zu können und dann all die Konzerte zu besuchen, die man bisher nicht gesehen und gehört hat. Zum Beispiel die Konzerte auf der Burg oder in der Kirche oder im Theater! Wer das wirklich verstehen will, muss sich schon auf den Weg machen und nach Rudolstadt zum Festival kommen. Im nächsten Jahr ist der Länderschwerpunkt übrigens Deutschland. Wie dann wohl das Wetter wird?
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