Sie genießen als EU-Bürger*innen das Recht der Freizügigkeit und brechen vor allem aus den osteuropäischen Ländern mit der Hoffnung auf ein besseres Leben auf. Sie kommen in Deutschland an im Nichts, ohne irgendeinen Anspruch auf Unterstützung. Rund 300 Menschen in absoluter Armut suchen bei der „Europabrücke“ in Münster jährlich Hilfe, einem Projekt der Bischof-Hermann-Stiftung. „Das sind ganz existenzielle Notlagen“, sagt Bernd Mülbrecht, Leiter des Hauses der Wohnungslosenhilfe (HdW) an der kleinen Bahnhofstraße: „Wir müssen kreativ die Bemühungen der Menschen um Unterkunft, Arbeit und die materielle Existenzsicherung unterstützen“.
Nicht vorstellbar: Menschen müssen in einem der reichsten Länder der Erde mit Nichts leben
Das könnten sich die Bürger*innen in Deutschland gar nicht mehr vorstellen, dass Menschen in einem der reichsten Länder der Erde mit Nichts leben müssen. Seit 2016 das „Unionsbürger*innen-Ausschlussgesetz“1 erlassen wurde, ist das so. Ob es tatsächlich rechtens ist, selbst das Existenzminimum zu verweigern, darüber steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch aus.
Innerhalb der ersten zwei Jahre des Aufenthalts stehen den Zuwander*innen ohne Arbeitsstelle Überbrückungshilfe für gerade einmal vier Wochen zu. Häufig werde sie an die Bereitschaft zur Rückkehr ins Heimatland geknüpft, kritisiert Mülbrecht.
Sie können nicht einmal zur Tafel
Für ein Dach über dem Kopf muss die Kommune sorgen. Aber auch dieses Recht müsse man erst einmal durchsetzen, so der langjährige Leiter des HdW. Dank guter Kontakte zum Sozialamt und in die Politik gelinge das in Münster trotz des besonders angespannten Wohnungsmarktes. Aber das Geld für Lebensmittel müsse in etlichen Fällen aus Spenden organisiert werden. Ohne Hartz-IV- oder Sozialhilfe-Bescheid könnten sie in Münster nicht einmal Kunden der Tafel werden, erklärt Mülbrechts Kollege Till Meinelt.
Erst wenn sie Arbeit finden, in der Regel erst einmal einen Minijob oder eine Stelle im Niedriglohnbereich, gebe es den Anspruch auf aufstockende Hilfen. Das gelinge dank guter Konjunktur derzeit noch gut, sagt Mülbrecht. Im Reinigungsgewerbe, auf dem Bau oder in der Gastronomie gebe es immer Bedarf. Allerdings seien dies nicht selten prekäre Arbeitsverhältnisse.
Europabrücke hilft: Schwerpunkt sind Frauen und Kinder
Seit 2016 gibt es die Europabrücke als Projekt aus dem „Europäischen Hilfsfonds für am stärksten benachteiligte Personen“ (EHAP). In diesem Jahr ist es bis Ende 2020 verlängert und auf vier Vollzeitstellen aufgestockt worden. „Aber wir können immer noch nicht alles abdecken“, sagt Till Meinelt. Schwerpunkt sind jetzt gerade Frauen und Kinder. Die Vermittlung von Kita- und Schulplätzen ist eine Voraussetzung, um arbeiten zu können. Wünschenswert wäre für ihn und seine Kollegen insbesondere mehr Hilfe bei der Arbeitssuche. „Arbeit ist der Schlüssel zu Hilfen und Integration“.
Menschen als das wahrnehmen, was sie sind: „Sorgende Eltern“
Mülbrecht ärgert sich, dass Zuwander*innen aus Osteuropa gerne als billige Kräfte in der Pflege oder insbesondere auch Fleischindustrie genommen würden. Ebenso seien Fachkräfte in Mangelberufen willkommen, die dann teilweise in ihren Herkunftsländern fehlten. Aber eine Unterstützung beim Start werde verweigert. Till Meinelt kritisiert die Vorurteile über die „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ und wünscht sich dass diese Menschen als das wahrgenommen werden, was die meisten tatsächlich nur seien: „Sorgende Eltern“. (jgn)
1 Offiziell heißt das Gesetz „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“
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