„Besondere Wohnwertmerkmale“: Mietzuschlag für den Flughafen?
Von Werner Szybalski
Die Stadt Münster hat zum 1. April 2023 turnusgemäß einen neuen Mietspiegel veröffentlicht (wir berichteten). Auch der größte private Vermieter in der Stadt, die LEG SE mit Sitz in Düsseldorf, nutzt diesen, um gemäß Paragraph 558 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) seine Mieteinnahmen zu erhöhen. Die LEG besitzt laut Geschäftsbericht von 2022 in der Domstadt 6197 Wohnungen.
Münster hat bundesweit eine der niedrigsten Leerstandquoten; sie lag 2021 bei lediglich 0,3 Prozent (bei der LEG in Münster in 2022 waren es 0,6 Prozent) des verfügbaren Wohnraumes. Wegen dieser angespannten Wohnraumsituation darf die Miete – außerhalb von Modernisierungsmieterhöhungen – in Münster gesetzlich nur um 15 statt der sonst möglichen 20 Prozent innerhalb von drei Jahren steigen. Diese größtmögliche Mietsteigerung versucht die LEG, die in Münster viele ehemalige öffentlich geförderte Wohnungen mit entsprechend noch niedrigem Mietzins besitzt, derzeit mit zumindest zweifelhaften Begründungen zu erreichen.
Anfang Oktober dieses Jahres drohte LEG-Chef Lars von Lackum, Vorsitzender des drittgrößten deutschen Vermieters: „Die Mieten werden deutlich steigen.“ Die LEG könne kein nachhaltiges, klimafreundliches Produkt für 6,52 Euro den Quadratmeter anbieten. Deshalb wolle sie die Mieten „so stark wie regulatorisch möglich“ steigern.
In Münster, wo in den vergangenen zwei Jahren die Mieten in frei finanzierten Wohnungen schon um fast zehn Prozent – von 8,55 Euro pro Quadratmeter auf 9,37 Euro – gestiegen waren, möchte die LEG gemäß Geschäftsbericht grundsätzlich ein Mietniveau von zehn Euro pro Quadratmeter erzielen. Tatsächlich erreichte die LEG laut Geschäftsbericht 2022 in Münster aber bislang nur einen Preis von 7,06 Euro. Dies brachte dem börsennotierten Unternehmen in 2022 aber trotzdem schon allein in Münster (mit nur 3,7 Prozent der von der LEG insgesamt vermieteten Quadratmeter) eine Kaltmieteinahme von 34.570.410,45 Euro ein.
Fast 35 Millionen fließen also jährlich aus Münster ab – zunächst in Richtung Düsseldorf und dann via Börsenplatz London als Dividende an den amerikanischen Großaktionär BlackRock und andere Kapitalgeber*innen.
Es gilt, das Ankündigungsschreiben zur Mieterhöhung genau zu prüfen
Um in Münster von dem noch unterdurchschnittlichem LEG-Mietniveau auf zukünftig konzernweit überdurchschnittliche Mieteinnahmen zu kommen, scheut die Geschäftsführung der LEG auch zweifelhafte Methoden nicht. So kam es – passend zu der öffentlichen Ankündigung von angeblich „notwendigen Mieterhöhungen“ durch LEG-Boss Lars von Lackum – in Münster im Herbst schon zur zweiten Runde von Mieterhöhungsschreiben mit zweifelhaftem Inhalt.
Wie schon im Frühsommer werden erneut unter der Überschrift „Mietanpassung nach § 558 BGB“ nicht nur die gesetzlich zulässige Mieterhöhung auf Grund des neuen Mietspiegels in Münster aufgeführt, sondern auch für angebliche Standortvorteile der Domstadt zusätzliche drei Prozent Mietsteigerung gefordert. Begründet mit: „besondere Wohnwertmerkmale“ – nicht der Wohnung, sondern des Wohnortes, wohlgemerkt. Dazu später mehr.
Zunächst muss deutlich gesagt werden, dass auch die regulären Mieterhöhungen genau zu überprüfen sind. Nicht nur die LEG-Mieter*innen-Initiative Münster hat die Erfahrung gemacht, dass in den Berechnungen des Vermieters Zuschläge nicht korrekt aufgeführt und Abschläge „vergessen“ werden.
Deshalb müssen in jeder Mieterhöhungsankündigung die von der LEG aufgelisteten Zu- und Abschläge zur ortsüblichen Miete genau überprüft werden (www.stadt-muenster.de/wohnungsamt/mietspiegel), rät der Mieterverein Bochum: „Die LEG ist bei diesem Thema in der Vergangenheit mehrfach mit Tricksereien aufgefallen.“
Zweifelhafte Methoden
In der tabellarischen Aufführung der „Zu- / Abschläge wegen“, so die Tabellenüberschrift, „ortsüblicher Vergleichsmiete lt. Mietspiegel“ werden auch drei Prozent Aufschlag angeführt, die nicht durch den Mietspiegel und damit den § 558 BGB gedeckt sind.
Diese „Besonderen Wohnwertmerkmale“, die irreführend unten im Block mit den Mietspiegelerhöhungen aufgeführt sind und – vermutlich aus juristischen Gründen – nur durch die Doppelsternchen als nicht zum Mietspiegel gehörend erkennbar sind (siehe Bild auf S. 14), sind rechtlich offensichtlich nicht zulässig.
Diese Auffassung vertritt auch der Fachanwalt für Mietrecht, Elias Raffenberg aus Münster: „Diesem Zuschlag muss insgesamt widersprochen werden. […] Die aufgeführten Merkmale wie zum Beispiel Flughafen in weniger als 15 Kilometer Entfernung (was übrigens nicht korrekt ist) sind nicht dazu geeignet, einen Zuschlag von drei Prozent zu rechtfertigen.“
Auch Noma Hajar vom MieterInnen-Schutz-Verein Münster beurteilt den Zuschlag als nicht berechtigt: „Wir gehen davon aus, dass die von der LEG aufgeführten besonderen Wohnwertmerkmale, die mit teilweise über neun Prozent, allerdings begrenzt auf drei Prozent, dem Basiswert aufgeschlagen werden, im Rahmen der Spanne keinen Zuschlag rechtfertigen und damit nicht die Basismiete erhöhen.“ Die aufgelisteten Merkmale seien teilweise für das jeweilige Mietobjekt nicht einschlägig oder im Mietspiegel der Stadt Münster schon in der Tabelle 6 enthalten und zudem „als Kriterien viel zu unbestimmt.“
„Die ,Besonderen Wohnwertmerkmale‘ stimmen teils nicht beziehungsweise sind völlig irrelevant“, urteilt auch Volker Jaks vom Mieterverein Münster im Deutschen Mieterbund (DMB) deutlich und erklärt: „Diese Merkmale klingen wie zusammengewürfelt, ohne dass eine nachvollziehbare Begründung gegeben wird, warum sie bei der Mieterhöhung auf Grundlage des Mietspiegels der Stadt Münster extra zu berücksichtigen seien.“ Jaks gibt folgenden Rat: „Wir empfehlen unseren Mitgliedern, diesem LEG-Mieterhöhungsverlangen nicht zuzustimmen.“
Erfolgte Zustimmung ist grundsätzlich nicht angreifbar
Viele LEG-Mieter*innen haben aus unterschiedlichsten Gründen der Mieterhöhung durch die LEG inzwischen schon zugestimmt – ohne dass ihnen bewusst war, dass die aufgeführten „Besonderen Wohnwertmerkmale“ gar nichts mit dem Mietspiegel und somit mit dem § 558 BGB zu tun haben. Für Noma Hajar nachvollziehbar, aber auch fatal: „Mieter sollten also immer die Mieterhöhung überprüfen lassen und nicht voreilig zustimmen. Ist die Zustimmung erst erteilt, kann man die Mieterhöhung nämlich nicht mehr angreifen.“
Etwas anders sieht dies im vorliegenden Fall ein LEG-Mieter aus Rumphorst. Er hatte die Unrechtmäßigkeit der aktuellen Mieterhöhung zunächst auch nicht erkannt und die Zustimmungserklärung unterschrieben. Nach Rücksprache mit der LEG-Mieter* innen-Initiative hat er trotz der grundsätzlichen „Nichtangreifbarkeit“ seiner schriftlichen Zustimmung die Zahlung der drei Prozent für die „Besonderen Wohnwertmerkmale“ verweigert und seine Zustimmung in diesem Punkt zurückgezogen. Er will auch vor dem Amtsgericht vortragen, dass er sich durch die LEG-Ankündigung mutwillig getäuscht sieht.
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