Ursprünglich war Leiharbeit allein als Instrument vorgesehen, um Auftragsspitzen in Unternehmen abzufedern. So jedenfalls lautete das ursprüngliche Ziel des „Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“, das vom Beginn der 1970er-Jahre galt. Nun gilt seit dem 1. April dieses Jahres das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, das die Leiharbeit regulieren soll. Doch Schlupflöcher bleiben, und es sind nicht nur Schlupflöcher: Derweil stecken mehr als eine Million Arbeitnehmer*innen in der Bundesrepublik in der Leiharbeit fest.
Ein Gastbeitrag von Carsten Peters*
Das neue Gesetz soll einen Missbrauch bei den Einsatzzeiten der Leiharbeiter*innen verhindern. Gestartet war Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit großen Zielen: Leiharbeit sollte in geordnete Bahnen überführt und festgelegt werden, wo der Missbrauch anfängt: „Einer der größten ist, dass Arbeitgeber Leiharbeiter teilweise extrem lange einsetzen, ohne dass sich aus dem betrieblichen Ablauf erschließt, warum das so sein muss. Das Ganze ist am Ende des Tages nur Lohndrückerei und setzt damit auch die Stammbelegschaften unter Druck“, so war es aus dem Munde der Ministerin zu hören: Denn aus dem vorübergehenden Einsatz für die Abfederung von Auftragsspitzen seien in manchen Fällen „sieben, acht, neun Jahre“ geworden.
Herausgekommen ist nun Folgendes: Leiharbeiter*innen dürfen nur noch für maximal 18 Monate in einem Betrieb bleiben. Spätestens nach neun Monaten erhalten sie außerdem den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft. Tarifverträge können Abweichendes regeln.
Rotationsprinzip als Umgehung weiterhin möglich
Gleichwohl bietet nun auch diese Gesetzesnovelle Spielraum für Missbrauch: Setzt ein Verleihunternehmen beispielsweise zwei Leiharbeiter*innen halbjährlich wechselnd in zwei Entleihbetrieben ein, wird ein erster Tatbestand zu Umgehung des Gesetzes geschaffen.
Nach 18 Monaten im Betrieb soll Schluss sein mit der Befristung. Entweder soll der Betrieb die Leiharbeiter*innen dann übernehmen oder an das Verleihunternehmen zurückgeben. Liegen dabei zwischen zwei Einsätzen der Arbeitskräfte bei demselben Entleiher nicht mindestens drei Monate, werden die Einsatzzeiten addiert. Das Grundproblem bleibt daher bestehen: Es ist auch weiterhin möglich, Arbeitsplätze langfristig mit Leiharbeiter*innen zu besetzen – nur müssen diese nach 18 Monaten ausgetauscht werden. Das Grundproblem wird verschoben, nicht beseitigt.
Scheinwerkverträge verhindern
Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird zudem im neu eingefügten § 611a klargestellt, wer Arbeitnehmer*in ist: „Durch Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an…“
Mit dieser neuen Regelung will die Bundesregierung „Licht in die Grauzonen der Werkverträge“ bringen. Derzeit würden teilweise Verträge zwischen Unternehmen „quasi risikolos“ – so die Bundesregierung – als Werkverträge bezeichnet, während tatsächlich Leiharbeit praktiziert werde.
Inwieweit diese Regelung den Missbrauch der Werkverträge verhindert, wird sich noch zeigen. Dennoch dürften missbräuchliche Anwendungen wie das Einräumen von Regalen in Supermärkten durch Werkvertragsnehmer*innen damit beendet sein.
Ministerin Nahles gab am Ende des Gesetzgebungsprozesses zu, dass ihr ursprünglicher Gesetzesentwurf „kleingehäckselt“ worden sei – vor allem auf Betreiben der CSU und des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der sponsert unter anderem in großem Umfang die Lobby-Organisation „Neue Soziale Marktwirtschaft“.
Die Probleme bleiben
Was die Gesetzesänderungen bewirken, muss die Praxis zeigen. Das grundsätzliche Problem bleibt bestehen, da der equal-pay-Grundsatz (also die Forderung, einem/r Leiharbeitnehmer*in ein Arbeitsentgelt in gleicher Höhe zu zahlen wie einem/r Arbeitnehmer*in) nicht eingelöst wird. Von heute auf morgen wäre die Leiharbeit kein profitables Geschäft mehr, wenn dieser Grundsatz ab dem ersten Beschäftigungstag wirklich gelten würde. Dies verhindern bislang die Gesetze. Die steigende Zahl der schlechter gestellten Arbeitnehmer*innen belegt, dass die Leiharbeitsbranche weiterhin boomt.
In benachbarten europäischen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden werden die Leiharbeiter*innen für ihre Flexibilität mit Zuschlägen auf das gleiche Geld wie die Stammbelegschaften belohnt. Hierzulande bleibt die Leiharbeit ein Instrument, mit dem sich über die Löhne Druck auf die Stammbelegschaft ausüben lässt.
Allein in Münster waren zeitweilig 48 Personaldienstleister, Leiharbeits- und ähnliche Unternehmen tätig. Einzelne Unternehmen hatten sogar firmeninterne Leiharbeitsfirmen gegründet. Ein einträgliches Geschäft.
*Carsten Peters ist stellvertretender Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes Münster und Vorsitzender der GEW Münster
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