Die Störung provinzieller Ordnung
Während anderswo in Deutschland der Krieg zu Ende ging, Matrosen und Soldaten meuterten, Arbeiterinnen und Arbeiter massenhaft streikten und die Republik ausgerufen wurde, blieb man in Münster den Ereignissen gegenüber größtenteils skeptisch. Dennoch drang die Novemberrevolution von 1918/1919 auch in die tiefschwarze Westfalenmetropole vor. Nachfolgend die Fortsetzung des Artikels aus der vorigen Ausgabe.
So war die Novemberrevolution nun auch nach Münster gekommen. Der Arbeiter- und Soldatenrat bildete zwar eine offizielle Minderheitsregierung, war jedoch innerhalb der Stadt stark isoliert.
Während der städtische Arbeiter- und Soldatenrat in Münster selbst nur begrenzten Einfluss hatte, entkam die Stadt selbst ihrem Schicksal als Verwaltungsstadt auch während der Revolutionswirren nicht.
Als Hauptquartier des VII. Armeekorps wurde Münster am 13. November 1918 auch zum Sitz des Generalsoldatenrates. Dieser war die zentrale Organisation für alle Soldatenräte im Wehrbezirk des VII. Armeekorps, welches den größten Teil Westfalens inklusive des Ruhrgebietes sowie die niederrheinischen Gebiete und Lippe beinhaltete. In vielen dieser Regionen war der tatsächliche Einfluss der Räte auch nicht viel größer als in Münster, nur im Ruhrgebiet gab es traditionell eine starke Arbeiterbewegung.
Beide Seiten bewaffnen sich
Diese Machtlosigkeit vieler Räte führte vielerorts zu Frustration bei ihren Mitgliedern und Anhängern. Auf dem Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin im Dezember 1918 radikalisierte sich die Bewegung zusehends, man stellte sich gegen die gemäßigte Regierung in Berlin, kündigte einen Boykott sämtlicher Verfügungen von Regierung, Heeresleitung und Generalkommando an, die nicht im „Sinne der Revolution“ waren.
Auf der anderen Seite rückten gemäßigte Sozialdemokraten stärker mit anderen bürgerlichen Gruppen gegen Kommunisten und USPD zusammen. Der Generalsoldatenrat in Münster forderte den Abzug aller Armeeeinheiten aus dem Ruhrgebiet sowie eine schnelle Demobilisierung. Man begann, Bürger- und Zechenwehren aufzustellen und zu bewaffnen. In Münster selbst fanden sich kaum Freiwillige für eine vom Arbeiter-und Soldatenrat organisierte Sicherheitswehr, weshalb man Gruppen aus dem Ruhrgebiet einsetzte.
Die Aufstellung dieser „Freiwilligenverbände“ erwies sich allerdings als zweischneidiges Schwert. Nachdem die Reichsregierung am 7. Januar 1919 die Bildung solcher Verbände genehmigt hatte, bildeten sich neben den erwähnten, den Räten nahestehenden Sicherheitswehren in ganz Deutschland verstärkt Freikorps, in denen sich vor allem Gegner der Revolution organisierten. Bereits am folgenden Tag wurde unter Führung des Hauptmanns Franz Pfeffer von Salomon das „Westfälische Freiwilligen-Regiment“ aufgestellt. Wenige Tage später entstand aus Studenten und Dozenten der Wilhelms-Universität eine „Akademische Volkswehr“, die sich ebenfalls gegen die Räte konstituierte. Offiziell unterstanden diese Einheiten zunächst den Arbeiter- und Soldatenräten, ihre Loyalität war jedoch mehr als fraglich.
Die Auflösung des Generalsoldatenrates
Zusätzlich verabschiedete am 7. Februar die Regierung in Berlin einen Beschluss, der die Wahlverfahren sowie die Kompetenzen der Arbeiter- und Soldatenräte regelte. Viele der radikaleren Räte, unter ihnen der Generalsoldatenrat in Münster, lehnten diesen Beschluss ab. Man drohte mit Generalstreik im Ruhrgebiet sowie der verstärkten Bewaffnung der eigenen Anhänger.
Für die Gegner der Revolution wurden sie so zum gefundenen Fressen. Am 11. Februar 1919 marschierte, auf Anweisung des neuen Generals des 7. Armeekorps, das „Freikorps Lichtschlag“ in Münster ein. Dieses Freikorps sollte sich nur kurze Zeit später im Ruhrgebiet den Namen „Freikorps Totschlag“ verdienen, als es in mehreren Städten auf streikende Arbeiter schoss und dabei eine unbekannte Anzahl von ihnen tötete oder schwer verletzte.
In Münster blieb es zum Glück noch relativ friedlich, als das Korps, unterstützt von Teilen des in Münster stationierten 13. Regiments („Dreizehner“) sowie der Akademischen Volkswehr, den Generalsoldatenrat verhaftete und die kleine lokale Sicherheitswehr entwaffnete. Eilig aus dem Ruhrgebiet zur Unterstützung des Generalsoldatenrates angereiste Einheiten wurden bereits am Bahnhof abgefangen und entwaffnet. Auch sämtliche lokalen Soldatenräte auf dem Gebiet des 7. Armeekorps wurden offiziell aufgelöst. Für kurze Zeit herrschte wieder Ausnahmezustand in Münster, wichtige Knotenpunkte wurden militärisch besetzt und abgesperrt, Telefon- und Telegrafenleitungen wurden unterbrochen. Die bürgerlich-konservative Mehrheit in Münster begrüßte diese Maßnahmen.
Rat gegen Bürgertum
Trotz dieser Entwicklungen blieb der lokale Münsteraner Arbeiterrat zunächst im Amt, er hatte jedoch weiterhin einiges von seiner ohnehin schon schwachen Autorität eingebüßt.
Wie politisch isoliert der seit dem frühen Austritt der beiden christlichen Gewerkschafter sozialdemokratisch dominierte Arbeiterrat in Münster tatsächlich war, wurde spätestens Anfang 1919 klar. Gleich drei Wahlen standen an: Die Wahl zur Nationalversammlung, zum preußischen Landtag, sowie zur Stadtverordnetenversammlung. Wie erwartet erlangte die Zentrumspartei bei allen Wahlen die absolute Mehrheit, 62 Prozent bei der Wahl zur Nationalversammlung, und 38 von 60 Sitzen bei der Stadtverordnetenversammlung. Die SPD brachte es auf 14 Prozent bei der Wahl zur Nationalversammlung und auf acht Sitze in der Stadtverordnetenversammlung.
Der Arbeiterrat indes gab seine Machtposition noch nicht auf. Der Demokratisierungsprozess sei noch nicht abgeschlossen, hieß es, außerdem wolle man die Entscheidung des Rätekongresses am 8. April abwarten. Auf ihm sollte entschieden werden, ob das System der Räte in der Verfassung der jungen Republik verankert wird oder nicht.
Dies stieß auf heftigen Protest der oppositionellen Mehrheit. Vormals streng monarchistische Abgeordnete und Journalisten warfen dem Rat vor, undemokratisch zu sein. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss zwar, dem Arbeiterrat die finanziellen Mittel zu entziehen, die Zahlungen liefen jedoch immerhin bis Ende Mai weiter. Priester predigten gegen Sozialdemokratie und Säkularisierung, die zentrumsnahe Presse sparte nicht mit Kritik.
So versank der Arbeiterrat zunehmend in der politischen Bedeutungslosigkeit. Einige Monate hielten seine Mitglieder noch durch, obwohl der Rat von vielen einfach ignoriert wurde. Zu manchen Stadtverordnetendebatten wurde er nicht einmal mehr eingeladen. Am 24. Mai 1919 zogen die letzten verbliebenen drei Mitglieder die Konsequenzen und erklärten offiziell die Auflösung des Arbeiterrates.
Das Kapitel der Revolution war damit in Münster mehr oder weniger abgeschlossen. Es folgte eine weiterhin turbulente Zeit voller politischer Konflikte, Hungeraufstände und wirtschaftlicher Krisen. In Münster jedoch hatten sich die Vertreter der alten Ordnung durchgesetzt.
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