Das Bundessozialgericht hatte schon im Mai beschlossen: Die Kosten für den Eigenanteil für Schulbücher müssen durch die Jobcenter als Härtefall-Mehrbedarf nach § 21 Absatz 6 SGB II übernommen werden.
Optionskommunen in NRW übernehmen Schulbuch-Kosten
Inzwischen hat das Land NRW die 35 kommunalen Jobcenter (Optionskommunen) in NRW – also auch das in Münster – angewiesen, das Urteil umzusetzen: „Die kommunalen Jobcenter übernehmen künftig bei Schülerinnen und Schülern, die SGB II-Leistungen („Hartz IV“) erhalten, die Kosten für Schulbücher. Dafür hat Arbeitsminister Karl-Josef Laumann mit einem Erlass an die 18 kommunalen Jobcenter gesorgt, die seiner Rechtsaufsicht unterstehen.“
Erwerbslosenverein Tacheles schrieb an BA: Zum Schulbuch-Urteil „kurzfristig rechtliche Klarheit schaffen“
Nun hat der Erwerbslosenverein Tacheles, Wuppertal, einen Brief an die Bundesagentur für Arbeit geschrieben und fordert, dass auch die anderen Jobcenter angewiesen werden, das Urteil umzusetzen:
„Die Verwaltungspraxis ist bundesweit sehr unterschiedlich, die einen Jobcenter werden angewiesen Schulkosten zu übernehmen, die anderen weigern sich offen die BSG Rechtsprechung umzusetzen. So z.B. das Jobcenter Oldenburg, das in seinen Bescheiden schreibt, die BSG Rechtsprechung ‚ist zu negieren‘. Denn die Urteile des BSG ‚thematisieren den Beginn eines Schuljahres ab der 11. Klasse, insofern trifft die analoge Anwendung der Rechtsprechung vorliegend bei Ihren Kindern nicht zu, da Ihre Kinder noch nicht die Klasse 11 besuchen‘, so der Bescheid des JC OL vom 29.08.2019.“
Da jetzt die Schule nach den Sommerferien wieder begonnen hat, stehe das Thema ganz oben auf der Agenda. Schließlich stehe mit dem neuen Schuljahr auch der Kauf von neuen Schulbüchern an. Und Hartz-IV-Empfänger*innen müssen zunächst den Eigenanteil übernehmen:
„Das heißt das Thema Schulbücher und Schulmaterialen steht für fast 2 Millionen SGB-II-beziehende Kinder auf der Tagesordnung. Wir fordern die Bundesagentur für Arbeit auf kurzfristig rechtliche Klarheit zu schaffen und die Jobcenter mit einer eindeutigen Weisung anzuweisen, dass Schulmaterialien neben dem Bildungs- und Teilhabepaket auf Zuschussbasis nach § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind. Auch bitten wir um Klarstellung, welche Schulmaterialien zu übernehmen sind“, so das Tacheles in dem Brief.
Weitere Schulkosten sind übernahmefähig
Ebenso vertritt das Tacheles die Rechtsauffassung, dass das BSG-Urteil auch für andere Schulmaterialien gelte, die nicht im Schulbedarfspaket genannt sind. Das Schulpaket umfasse „Gegenstände zur persönlichen Ausstattung für die Schule (z.B. Schulranzen, Schulrucksack, Turnzeug, Turnbeutel, Blockflöte) und für Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien (z.B. Füller einschließlich Tintenpatronen, Kugelschreiber, Bleistifte, Malstifte, Malkasten, Hefte, Blöcke, Papier, Lineale, Buchhüllen, Zirkel, Taschenrechner, Geodreieck)“.
„Alle anderen Schulbedarfe, die nicht den genannten Kategorien entsprechen, können nachfolgend beantragt werden“, so das Tacheles. Im Wesentlichen beinhaltet das: „Eigenanteilen zu den Schulbuchkosten und von der Schule verlangte Kosten für z.B. den Atlas, ergänzende Literatur, Kopierkosten, Klassenkasse, Computer.“
Deshalb empfiehlt das Tacheles auch, „Anträge zu stellen, schulische Notwendigkeitsbescheinigungen zu besorgen und beizulegen und natürlich Quittungen (bitte Kopie von den Unterlagen anfertigen) und im Ablehnungsfall in den Streit zu treten“. Einen Muster-Antrag hat das Tacheles zur Verfügung gestellt.
„Kostenfreie Schulbücher sind ein wichtiger Schritt zu mehr Chancengerechtigkeit“
Derweil fordert das Netzwerk Freie Wohlfahrtspflege NRW, dass einfach die Lernmittelfreiheit durchgesetzt wird: „Zum Schulstart wissen viele Eltern nicht, wie sie manche Unterrichtsbücher ihrer Kinder bezahlen sollen. Mit konsequenter Lernmittelfreiheit könnte die Landesregierung dafür sorgen, dass jedes Kind die gleiche Basisausstattung von Büchern im Rucksack hat. Kostenfreie Schulbücher sind ein wichtiger Schritt zu mehr Chancengerechtigkeit“, so Dr. Frank Johannes Hensel, Direktor des Kölner Diözesan-Caritasverbandes und Vorsitzender des Arbeitsausschusses Armut und Sozialberichterstattung der Freien Wohlfahrtspflege NRW.
„Denn: Viele Eltern im SGB-II-Bezug werden den Weg der Kosten-Rückerstattung für Bücher über das Jobcenter nicht gehen. Die Beantragung ist kompliziert und aufwendig. Eine echte Lernmittelfreiheit schafft Abhilfe“, so die Freien Wohlfahrtspflege NRW.
„Die Streichung des Eigenanteils gewährleistet die finanzielle Entlastung von einkommensschwachen Familien und sorgt gleichzeitig auch für einen Bürokratieabbau“, so Hensel weiter.
Erläuterung: Optionskommune versus Gemeinsame Einrichtungen
Die Optionskommunen in NRW sind: Kreis Borken, Kreis Coesfeld, Kreis Düren, Ennepe-Ruhr-Kreis, Stadt Essen, Kreis Gütersloh, Stadt Hamm, Hochsauerlandkreis, Kreis Kleve, Kreis Lippe, Kreis Minden-Lübbecke, Stadt Mülheim a.d. Ruhr, Stadt Münster, Kreis Recklinghausen, Kreis Steinfurt, Stadt Solingen, Kreis Warendorf und Stadt Wuppertal. Die anderen 35 NRW-Jobcenter werden als sogenannte „Gemeinsame Einrichtungen“ gemeinsam von der Bundesagentur für Arbeit und den dortigen Kommunen getragen.
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