Arbeitsbedingungen und Lebensumstände von Saisonarbeiter*innen bei der Spargelernte in Münster und Umgebung
Von Judith Appel
Spätestens seit der Covid-19-Pandemie ist die Situation der Saisonarbeitskräfte aus Südosteuropa weiter in den öffentlichen Fokus gerückt. Reisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen haben ihre Arbeitsbedingungen zusätzlich verschlechtert und die systemische Bedeutung dieser Arbeitskräfte für die Landwirtschaft deutlich gemacht. Trotz gesetzlicher Regelungen gibt es immer wieder Berichte über Ausbeutung und unzureichende Löhne.
Viele Arbeiter*innen wissen nicht genau, wie sie bezahlt werden und welche Rechte ihnen zustehen, was ihre Situation oft noch prekärer macht. Beratungsstellen und Gewerkschaften versuchen kontinuierlich, auf die Probleme hinzuweisen und die Arbeitskräfte bei der Durchsetzung fairer Arbeits- und Unterbringungsbedingungen zu unterstützen. Da die meisten von ihnen dezentral in Container-Anlagen untergebracht sind, finden sie nur selten den Weg in die vor Ort ansässigen Beratungsstellen.
Erfahrungs- und Informationsfahrt auf Felder und Baustellen im Münsterland
In Münster und Umgebung sind besonders viele Erntebetriebe zu finden, so dass sich die cuba-Beratungsstelle Arbeit Münster, die jfd-Beratungsstelle Arbeit Rheine, Faire Mobilität, Arbeit und Leben NRW sowie Vertreter der IG Bau am 7. Mai 2024 auf den Weg durchs Münsterland gemacht haben. Dank der umfangreichen Vorbereitung in den vorherigen Wochen verlief die Aktion erfolgreich. In der Region Münster konnten insgesamt 72 Saisonarbeitskräfte aus Rumänien und Polen auf den entsprechenden Spargelfeldern angetroffen werden. Interessanterweise sprachen viele der rumänischen Arbeiter*innen Ungarisch.
Nachdem es bei ähnlichen Aktionen in den vorigen zwei Jahren zu Auseinandersetzungen mit den Landwirten gekommen war, verlief die Besichtigung dieses Jahr verhältnismäßig ruhig. Die angetroffenen Landwirte tolerierten die Aktion weitestgehend, wodurch ein Austausch mit den Arbeiter*innen möglich war.
In einem Betrieb wurde berichtet, dass die Arbeitskräfte dort im Akkordlohn beschäftigt sind und neun Euro für die Unterkunft zahlen müssen. Christoph Cramers Kommentar von der cuba-Beratungsstelle Arbeit Münster: „Die Unterkünfte für Saisonarbeiter*innen sind oft beengt und teuer im Verhältnis zu den Löhnen, die sie verdienen. Die Kosten für die Unterkunft werden häufig direkt vom Lohn abgezogen, was das verfügbare Einkommen weiter reduziert. in vielen Fällen teilen sich mehrere Personen ein Zimmer, was zu beengten und teilweise unhygienischen Lebensbedingungen führt.“
In Neunkirchen/Wettringen im Kreis Steinfurt berichtete ein Arbeiter, der seit fünf Jahren regelmäßig zum selben Landwirt kommt und aktuell mit seinem Sohn dort arbeitet, dass sie bei wenig Spargel den Mindestlohn erhalten und bei viel Spargel 13 bis 16 Euro pro Stunde verdienen. Der Lohn ist abhängig von der Akkordmenge, die erreicht wird – dies ist der Fall, wenn jeder Arbeiter sieben Reihen Spargel gestochen hat. Der Betrieb beschäftigt etwa 80 Arbeitskräfte aus Rumänien. Der Arbeiter berichtete zudem, dass er drei Euro pro Tag für die Unterkunft zahlt und in einem Zimmer mit zwei bis drei Personen wohnt. Er erhielt viele Informations-Flyer, die er an seine Kolleg*innen weitergab. Auf anderen Feldern wurden Flyer in Transportern, Transportanhängern, Dixi-Klos und Kisten hinterlassen, da die Arbeiter*innen sich oft weit entfernt voneinander aufhielten.
Arbeit-und-Leben-NRW-Mitarbeiterin Elena Strato sieht die allgemeine Situation von Erntehelfer*innen aus Südosteuropa als eine Herausforderung: „Die zum Teil prekären Arbeits- und Unterbringungsbedingungen erfordern sowohl Aufmerksamkeit als auch strukturelle Verbesserungen. Während einige Arbeitskräfte über ihre langjährige Beschäftigung und relativ stabile Bedingungen berichten, gibt es auch neue und unerfahrene, die mit Unsicherheiten bezüglich ihrer Entlohnung und Unterkunft konfrontiert sind.“ Ein Mann, der seit sechs Jahren regelmäßig zum Spargelstechen kommt, berichtete, dass manche Arbeiter*innen zum ersten Mal dort waren und nicht genau wussten, wie sie am Ende bezahlt werden.
Bei einer kleinen Glasfaserbaustelle wurden vier Bauarbeiter angetroffen, die Albanisch, Rumänisch und Serbisch sprachen. Sie waren direkt bei einem Generalunternehmen angestellt. Ein rumänischer Arbeiter berichtete, dass etwa 30 seiner Landsleute dort arbeiten. Er erhält 14 Euro Arbeitslohn pro Stunde und arbeitet seit fünf Jahren bei der Firma. Seine Familie hat er mitgebracht und wohnt in einer vom Arbeitgeber in Hörstel gestellten Wohnung.
Im Zusammenhang mit einer Glasfaserbaustelle in Telgte wurden zwei rumänische Bauarbeiter angetroffen, die berichteten, dass sie nicht länger beschäftigt sind und demzufolge aus der Montageunterkunft verwiesen wurden. Attila Szász von Faire Mobilität kommentierte das so: „Ohne ihre Arbeit verlieren die Arbeiter*innen oft auch ihre Unterkunft und stehen plötzlich ohne Dach über dem Kopf da. Es braucht strengere und klarere Gesetze zum Schutz von Wanderarbeiter*innen, insbesondere was Kündigungsfristen und die Bereitstellung von Ersatzunterkünften betrifft.“
Szász konnte den zwei obdachlosen Arbeitskräften schließlich bei der Beschaffung einer anderen Unterkunft, der Auszahlung des Lohns sowie einer Heimfahrgeldpauschale nach Rumänien helfen. Sie befürchteten, ihren Lohn nicht zu bekommen, sollten sie diesen nicht vor ihrer Abreise erhalten. Erst durch die Unterstützung von Attila Szász wurde eine unbürokratische Lösung mit dem Arbeitgeber gefunden.
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