Verkehrspolitik könnte so einfach sein und so wirksam in den Bereichen Klima und Soziales. Das 9-Euro-Ticket hat dies im vergangenen Jahr eindrücklich bewiesen. Einen Sommer lang waren die Züge voll mit reiselustigen Menschen, die Deutschland kennenlernen, andere Städte erkunden wollten und die sich eine solche Fahrt ansonsten nicht geleistet hätten. 17 Prozent der Nutzer*innen gaben an, dauerhaft vom Pkw auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) umsteigen zu wollen. Ein voller Erfolg also in gerade mal drei Monaten. Und diesen Erfolg galt es dauerhaft zu sichern.
Und was kam? Das Deutschlandticket. Schon als der Preis für das neue Ticket aufgerufen wurde, gab es allenthalben Ernüchterung: 49,- Euro soll der Startpreis sein mit einer jährlichen Inflationsanpassung nach oben. Schon im nächsten Jahr könnte das Ticket mehr als 50,- Euro kosten. Die Preissteigerung von neun auf 49 Euro ist für viele Menschen einfach unerschwinglich. Die Wissenschaftlerin Dr. Claudia Hille hat eine Studie über die Auswirkungen des 9-Euro-Tickets im Sommer des vorigen Jahres in sechs einkommensschwachen Bezirken der Stadt Erfurt durchgeführt. Der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ sagte sie, dass ein 49-Euro-Ticket nicht zur Lebensrealität von Menschen mit wenig Geld passe, es sei für viele deutlich zu teuer. Viele wünschten sich Ermäßigungen für Kinder, Jugendliche und Rentner*innen. „Freiheit ist ein Begriff, der häufig fiel. Mit dem 9-Euro-Ticket haben sich die Menschen weniger einsam gefühlt, gerade die Rentnerinnen und Rentner“, sagte Hille der „ZEIT“.
In der jetzigen Form handelt es sich um ein Geschenk für die Mittelschicht
Diese Freiheit wird es für Finanzschwache mit dem neuen Ticket nicht geben. in der jetzigen Form handelt es sich eher um ein Geschenk für die Mittelschicht. Denn für Pendler*innen kann sich das Ticket durchaus lohnen. Und mit der Jobticket-Option beim Deutschlandticket könnte es für viele sogar noch günstiger werden als 49 Euro. Nämlich dann, wenn der Arbeitgeber mindestens 25 Prozent der Kosten trägt. Dann geben Bund und Länder weitere fünf Prozent dazu. So könnte das Abo für manche Pendlerinnen und Pendler nur noch 34,30 Euro kosten. Wer hat, dem wird gegeben.
Aber unbürokratisch und einfach erhältlich ist das Deutschlandticket nicht:
Es wird nur im Abo vertrieben und nur digital. Zu Beginn soll das Ticket allerdings auch als Plastikkarte erhältlich sein. Eine Papierfassung soll es als absolute Ausnahme bis Ende 2023 auch noch geben. Das Ticket kann monatlich gekündigt werden. Die Kündigung muss dann aber wieder schriftlich erfolgen. Und hier muss auf das Kleingedruckte geachtet werden: Eine Kündigung kann nur bis zum 10. des laufenden Monats für den folgenden Monat erfolgen. Hier kann es schnell zu einer Abo-Falle kommen. Überhaupt stößt das Abo- Verfahren auf scharfe Kritik aus den Wohlfahrtsverbänden.
Für die Lebenswirklichkeit finanzschwacher Menschen gibt es wenig Verständnis
Menschen, die kaum genug Geld haben zum Überleben, etwa Bürgergeld- Beziehende, auch noch ein Abo aufzudrängen offenbart, wie wenig Verständnis es an dieser Stelle für die Lebenswirklichkeit finanzschwacher Bürger gibt.
Aber dieses Verständnis scheint Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) grundsätzlich abhandengekommen zu sein. Anders lässt sich der hohe Preis für das Deutschlandticket gar nicht erklären. Im Regelsatz sind beim Bürgerged 45,02 Euro für den Verkehr vorgesehen (s. diese Ausgabe der SPERRE). Enthalten sind hierin auch Rücklagen für das Ansparen und die Reparatur eines Fahrrades. Bei Ehepaaren reduziert sich dieser Betrag auf gut 40,- Euro, bei Kindern im Alter zwischen sieben und 14 Jahren sind aktuell sogar nur 27,74 Euro für Mobilitätsausgaben vorgesehen. Das Deutschlandticket kostet aber pro Person 49,- Euro. Und es gibt keinen Familienrabatt. Ein wie auch immer geartetes bundesweit gültiges Sozialticket gibt es derzeit also nicht.
Woher also das Geld nehmen für die gesellschaftliche Teilhabe? Kennt die Politik nicht einmal den von ihr so eng zusammengestauchten Regelsatz?
Unabhängig hiervon gibt es für Menschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind, schon jetzt große Unwägbarkeiten bei den monatlich notwendigen Ausgaben. Hier reichen schon die nach wie vor zweistelligen Inflationsraten im Lebensmittelbereich oder die explodierenden Preise beim Strom, um ein Deutschlandticket als reine Seifenblase erscheinen zu lassen. Die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann sieht dies ähnlich: „Ich bleibe bei der Meinung, dass das Deutschlandticket ein Ticket für Besserverdienende ist und sich hauptsächlich für Berufstätige lohnt, wer bisher teure Monatstickets hatte. Wer von Armut betroffen ist, kann es sich schlichtweg nicht leisten.“ Greenpeace in Deutschland argumentiert, dass ein 29-Euro-Ticket mehr Menschen dazu bewegen würde, es zu kaufen. Die höheren Einnahmen aus dem Ticketverkauf würden zudem den reduzierten Preis ausgleichen.
Ein Ticket mit einem deutlich geringeren Preis könnte nicht nur ein sozialpolitischer Erfolg werden, sondern durch die bessere Annahme auch klimapolitisch punkten. Beides wird mit dem aktuellen Ticket nicht erreicht. Mark Andor, der beim Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI die Forschungsgruppe „Prosoziales Verhalten“ leitet, rechnet dementsprechend auch nicht mit einem großen Klimaeffekt durch das Deutschlandticket. „Wir gehen nicht davon aus, dass diese Maßnahme alleine beträchtliche Mengen an CO2 verringert.“
Das sollte sie aber, und um dieses zu erreichen, müssten die Preise runter und der gesamte ÖPNV offensiv ausgebaut und modernisiert werden. So jedenfalls die Forderung von Verkehrs- und Klimaexperten. Zur Zeit gibt der Bund zwei Milliarden Euro jährlich für den Ausbau des Schienenverkehrs aus. Für das Deutschlandticket fallen noch einmal 1,5 Milliarden jährlich an. Viel zu wenig gemessen an der Jahrhundertaufgabe sozialökologische Verkehrswende. Viel zu wenig gemessen an den Hunderten von Milliarden Euros, die mal eben so ausgegeben werden für Kriegs- und Sanktionspolitik.
Dass das Deutschlandticket eine soziale Schieflage hat, haben einige Länder und Kommunen bereits erkannt und sie beginnen zu handeln. In Hamburg soll das Ticket für Bedürftige aus der Landeskasse bezuschusst werden und für 19,- Euro erhältlich sein. In NRW, so der Verkehrsminister Oliver Krischer, werde die Einführung eines günstigeren Sozialtarifes zum Deutschlandticket „in den nächsten Monaten geprüft“. Schon klar ist in NRW allerdings, dass es ein Upgrade für die erste Klasse geben wird. Eine Sorge weniger.
Norbert Attermeyer
Die wichtigsten Fakten zum neuen Deutschlandticket
Wo gilt das D-Ticket und wo nicht?
Das D-Ticket gilt bundesweit in der Regel in allen öffentlichen Verkehrsmitteln der Verkehrsverbünde und bei allen Nahverkehrsunternehmen. Es können alle Fahrzeuge des Nahverkehrs deutschlandweit genutzt werden, also: alle Busse und Bahnen wie Straßen-, Stadt- und U-Bahnen sowie S-Bahnen, Regionalbahnen und Regionalexpresszüge in der 2. Klasse sowie in den meisten Fällen auch Fähren.
Das Ticket gilt nicht im Fernverkehr (also IC, EC, ICE, aber auch RE-Linien (Regionalexpress) der DB Fernverkehr AG). Auch private Anbieter wie FlixTrain oder FlixBus sind ausgeschlossen. ebenso gilt das DTicket nicht in Verkehrsmitteln, die überwiegend zu touristischen oder historischen Zwecken betrieben werden.
Wie und wo erhalte ich das D-Ticket?
Das D-Ticket kann als digitales, monatlich kündbares Angebot für 49 Euro im Abonnement erworben werden. Sie können es über die Apps und Vertriebskanäle der Verkehrsunternehmen und Verbünde erwerben. Bei vielen Anbietern*innen können Sie das Abo auch vor Ort in den Kundencentern abschließen. Das D-Ticket gibt es auf dem Smartphone und als Chipkarte. Bis Sie eine Chipkarte erhalten, bekommen Sie übergangsweise ein Papierticket mit QR-Code, das digital kontrollierbar ist. Das D-Ticket auf Papier gilt maximal einen Monat. Ähnlich wie beim Handyticket und der Chipkarte müssen sich Fahrgäste auch beim provisorischen Papierticket bei einer Fahrscheinkontrolle ausweisen können.
Gibt es das D-Ticket nur im Abo?
Das Deutschland-Ticket wird im Abonnement ausgegeben. Die Gültigkeit des Tickets ist grundsätzlich unbefristet, sie verlängert sich automatisch, wenn keine Kündigung erfolgt. Der Einstieg ins Abo ist jeweils zum ersten eines Monats möglich. Wer nach dem Ersten einsteigt, zahlt trotzdem den von vollen Preis von 49 Euro für den Monat. Das Abonnement wird für unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann monatlich gekündigt werden.
Kann ich andere Personen mitnehmen?
Eine unentgeltliche Mitnahme von Personen über sechs Jahren ist nicht möglich. Kinder unter sechs Jahren fahren weiterhin kostenlos mit. Einige herkömmliche Abo- Tickets beinhalten besondere Mitnahmeregelungen. Diese werden bei einem Wechsel ins D-Ticket nicht übertragen.
Ist das D-Ticket übertragbar?
Das D-Ticket ist nicht auf andere Personen übertragbar. Da es sich um ein personengebundenes Ticket handelt, müssen Fahrgäste bei möglichen Kontrollen ihre Identität nachweisen. Bei Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 15 Jahren reicht es, wenn sie ein geeignetes Ausweisdokument wie zum Beispiel einen Kinder- oder Schülerausweis vorzeigen. Ab 16 Jahren müssen Besitzer*innen des D-Tickets einen amtlichen Lichtbildausweis dabeihaben.
Wie kann ich das D-Ticket kündigen?
Das Deutschland-Ticket ist monatlich kündbar bis zum 10. eines Monats jeweils zum Monatsende. Die Kündigung muss in schriftlicher Form bei dem Verkehrsunternehmen erfolgen, bei dem das Abo abgeschlossen wurde.
- Kaffee bald wieder Luxus - 4.12.2024
- Die Mietpreisbremse gilt nur bis Ende 2025 - 2.12.2024
- Starker Anstieg der Mieten in 14 deutschen Großstädten - 28.11.2024