Das Festival in Thüringen verbindet die Welt musikalisch
Von Norbert Attermeyer
Wer in diesen Tagen die Planung für das Festivaljahr 2025 vornimmt, sollte sich den 4. Juli rot im Kalender anstreichen. Denn dann geht für vier Tage wieder das Rudolstadt-Festival über die Bühne. Sollte es wie im vergangenen Jahr glänzen, dann kündigt sich wieder etwas ganz Besonderes an.

Und so war’s im vergangenen Jahr: Verteilt auf die vier Festivaltage hatten jeweils 25.000 BesucherInnen den Weg in die Provinzstadt an der Saale gefunden. Gemessen daran, dass dies in etwa der Einwohnerzahl Rudolstadts entspricht, wird schnell klar, dass es sich hier um ein ganz besonderes Ereignis im Jahreskalender der Stadt handelt. So ist denn auch die Sperrstunde in diesen vier Tagen aufgehoben und die ganze Innenstadt inklusive der über der Stadt thronenden Heidecksburg und dem fußläufigen Heine Park wird kurzerhand zum Festivalgelände. Die Einheimischen nehmen in der Regel mit offenem Herzen und einem gewissen Stolz zur Kenntnis, dass ihre Stadt zu dieser Zeit zum Nabel der Weltmusik wird.
Länderschwerpunkt Deutschland

Wobei aber gesagt werden muss, dass im vergangenen Jahr Deutschland der besondere Länderschwerpunkt war. Ein schwieriges Unterfangen? Nicht für die Verantwortlichen des Festivals. Auch nicht für Bernhard Hanneken, seines Zeichens Programmdirektor des Festivals. Kenntnisreich wurde von altem Liedgut bis hin zu heutigem Deutsch-Rap ein beeindruckendes Programm aufgefächert – und das jenseits aller Deutschtümelei. Auf der Heidecksburg fand ein bejubeltes Konzert mit der Gruppe Deitsch und den Thüringer Symphonikern statt. Unter dem Titel „Ein schöner Land“ bekamen hier alte Lieder ein neues orchestrales Gesicht. Das Trio David Lübke brachte das von Zupfgeigenhansel bekannte Lied „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“ wieder zu Gehör. Welches den Schmerz und die Not der deutschen Auswanderer („Wirtschaftsflüchtlinge“ würden heute manche sagen) im vorletzten Jahrhundert spiegelte. Oder ganz heute: die Musikerin Paula Carolina, die mit Ihrer Band die große Bühne im Heine Park rockte. Ihr Credo lautet: „Angst frisst Demokratie!“. Und da könne die Antwort nur sein: zusammenkommen, aufeinander zugehen und feiern. Beim Rudolstadt Festival eigentlich der normaler Zustand.

Wie Frieden geht
Wie politisch das Festival sein kann, war bei dem Auftritt der Weltmusiker von Bukahara zu spüren. Der Palästinenser Ahmed Eid, Bassist und Perkussionist der Band, kündigte ein Lied an über die Trauer der Menschen im Gaza-Streifen und sprach hierbei von einem regelrechten Genozid, der dort stattfinde. Es gab nicht nur Zustimmung im Publikum. Nachdem das Lied verklungen war, trat Bandkollege Daniel Avi Schneider auf die Bühne und erklärte: „Ich bin Israeli und kann das, was mein Kollege gesagt hat, nur unterstreichen.“ Zumindest an diesem Abend auf dieser Bühne gab es Frieden zwischen Palästina und Israel.
Doch wie die Spirale von Gewalt und Gegengewalt auf Dauer überwinden? Vielleicht mit Julian Marley, dem Sohn Bob Marleys, der am ersten Tag im Heine Park das Festival eröffnete und die großen Hits vom Papa wieder aufleben ließ: Buffalo Soldier, One Love, Reggae Music… Friedliche Reggae Musik für einen friedlichen Abend im Heine Park.

Aber: Der erste Tag brachte das ganze Festival auch gleich an seine Grenzen. Weil am Donnerstag nur der Heine Park bespielt wird, wurde es extrem voll vor der großen Bühne. Da immer mehr Besucher schon deutlich vor dem offiziellen Festivalbeginn in die Stadt strömen, wurde der Donnerstagabend im Heine Park in diesem Jahr unverhofft zu einer plötzlichen Mutprobe. Zu viele Menschen auf zu kleinem Raum. Glücklicherweise ist das Rudolstädter Publikum dafür bekannt, weltoffen und tiefenentspannt zu sein, so dass am Ende erst gar keine Panik aufkam. Trotzdem täten die Verantwortlichen gut daran, hier nach alternativen Lösungen zu suchen.

Mal(i) selber probieren
In den Folgetagen stellte sich dann schnell das ein, was viele an diesem Festival so kennen und zu schätzen wissen: die vielen Bühnen, der direkte Kontakt zu den KünstlerInnen, die friedliche erwartungsfrohe Atmosphäre, das einmalige Publikum zwischen 3 und 93 Jahren. Und für alle ist was dabei. Für die Kleinen das Kinderfestival im Heine Park. Wer´s nicht glaubt, sollte sich auf den Weg machen. Um dann vielleicht ein Konzert zu erleben, wie das von der Nürnbergerin Ki`Luanda, die am Freitagabend zur Mitternacht über die Bühne fegte. Mit einer Mischung aus Soul, Funk und Jazz begeisterte sie das ausgelassene Publikum. Ki`Luanda hat familiäre Wurzeln im Kongo und in Angola und die feierte sie: „Say it out loud, I´m black and I´m proud!“ schallte es über den Marktplatz und die Leute feierten mit. Länderschwerpunkt Deutschland eben.

Natürlich gab es noch reichlich andere Konzerte. Wie etwa das von der Waliserin Cerys Hafana, die mit ihrer dreifachen Harfe ganz besondere, friedliche Momente in diesem ganzen Trubel schuf. Oder das von Emma Langford, die dem Irish Folk von heute ein Gesicht gibt. Oder der Bluegrass der aus Chicago stammenden Henhouse Prowlers. Oder der Blues Rocker Eric Bibb. Oder, oder oder … Den Sack zu machten dann unter anderem am Sonntagabend der Chor Heaven can wait. Der vor zehn Jahren in Hamburg gegründete Chor hat eine Besonderheit: Niemand kann Mitglied werden, der nicht mindestens 70 Jahre alt ist. Wobei das Programm des Chors allerdings sehr „heute“ ist mit Titeln von Deichkind, Jan Delay oder Fettes Brot. Hat Spaß gemacht. Wieder mal.
In diesem Jahr ist der Länderschwerpunkt übrigens Mali: die Wurzel des Blues. Vieux Farka Touré hat bereits zugesagt…