In der Wohnsiedlung Brüningheide besteht dringender Handlungsbedarf
Wie aus einer Mustersiedlung von einst ein heruntergekommenes Quartier mit katastrophalen Wohnbedingungen werden kann, das lässt sich in Münster-Kinderhaus schon seit vielen Jahren in der Brüningheide betrachten. Die Geschichte der Siedlung ist auch ein Lehrstück darüber, wie Privatinvestoren den Eigennutz bis heute über die berechtigten Bedürfnisse ihrer Mieter*innen stellen. Doch inzwischen tut sich was, wie Thomas Kollmann, einer der maßgeblich Beteiligten berichtet. Bürger*innen und Bewohner*innen organisieren sich, um endlich die Verbesserung der Wohnverhältnisse durchzusetzen:
Die Wohnsiedlung Brüningheide liegt im Norden von Münster im Stadtteil Kinderhaus. Sie wurde zwischen 1972 und 1976 von der Stadt Münster nach dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ errichtet. Die als Prestigevorhaben geplante Siedlung in der „Schleife“ umfasst 1150 Wohneinheiten und besteht aus einem Dutzend teilweise verwinkelter Hochhauszeilen mit bis zu zwölf Geschossen.
Ersteigentümerinnen waren die Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) und die Wohnungsgesellschaft Münsterland (WGM) mit einem Anteil von jeweils 50 Prozent. Einige Jahre nach Fertigstellung der Wohnsiedlung kamen bereits erste Mängel an der Bausubstanz und städtebauliche Nachteile zum Vorschein.
Von der Sozialbindung Schritt für Schritt in den Investmentfonds
2005 wurde die Siedlung, inzwischen im Besitz der LEG Immobilien AG und der WGM mbH, trotz erheblicher Warnungen von dritter Seite an die Babcock & Brown GmbH veräußert. Seither ist eine gemeinschaftliche Bewirtschaftung kaum mehr unmöglich. Bereits im selben Jahr gründete die Babcock & Brown GmbH im Rahmen eines Joint-Ventures mit der australischen Unternehmensgruppe GPT die Firma BGP Investment. Nach der Insolvenz von Babcock & Brown GmbH im Jahr 2009 zog sich auch die Gruppe GPT aus der Beteiligung zurück.
Seither firmiert BGP Investment als eigenständige Firma mit Hauptsitz in der Steueroase Malta. Weitere Firmensitze befinden sich in Luxemburg und Deutschland. Für die 638 Wohnungen, welche die BGP-Gruppe in Münster besitzt und in denen fast 900 Menschen leben, ist die Sozialbindung im Jahr 2016 ausgelaufen.
Danach kam es zu unterschiedlichen Mieterhöhungen für viele Wohnungen (insbesondere bei Neuvermietung). Seit dem 1. Juli 2019 ist Union Investment/ZBI neuer Eigentümer der „Fondshülle“ und damit aller 638 BGP-Wohnungen. Die endgültige Übernahme fand am 1. Januar dieses Jahres statt, so dass nun mit den Managern auch wieder die Ansprechpartner wechseln.
„Campusglück“ für Studierende
Teilweise werden im Zusammenhang mit der Wohnraumknappheit in Münster „WG-Wohnungen“ zimmerweise zu Höchstpreisen an Studierende vermietet. Diese neue Wohnform wurde bzw. wird unter dem Begriff „Campusglück“ beworben.
Neben den höchst problematischen Wohnverhältnissen in Verbindung mit
· Schimmel
· Feuchtigkeit
· Schädlingsbefall
· Heizungs- und Warmwasserproblemen
· Schäden in den Treppenhäusern und Außenbereichen
· weiteren technischen Problemen
ist die Vertragsbeziehung zwischen Mieter*innen und Vermieter bzw. Hausverwaltung bei BGP/ZBI vielfach in einem inakzeptablen Zustand. Die Mieter*innen in den weiteren, seit knapp 50 Jahren nicht sanierten Beständen (zirka 540 Wohnungen) sind
· oft resigniert,
· teilweise krank,
· renovieren notdürftig selbst oder gar nicht.
· warten viel zu lange auf selbstverständlichste Reparaturen wie zum Beispiel der Aufzugsbereiche in drei Wohnblöcken,
· nehmen die Mieterberatungsscheine mit kostenlosem Beratungsangebot teilweise nicht in Anspruch und damit auch nicht ihr Recht auf notwendigste Renovierungen, weil sie oft Angst haben, bei der angespannten Wohnsituation in Münster ihre eigene Wohnung zu verlieren, selbst wenn diese in einem mangelhaften Zustand ist.
· Die Bewohner*innen von weiteren 450 Wohnungen im Eigentum von „Sahle Wohnen GmbH & Co KG“, „Wohn-Sieger GbR“ und „Wohn- und Stadtbau GmbH“ finden keine Ansprechpartner*innen in den BGP-Büros.
Weitere 450 Wohnungen der Wohn+Stadtbau, von Wohn-Sieger und Sahle Wohnen im Quartier sind jetzt überwiegend renoviert und in einem bewohnbaren Zustand.
Unter diesen Vorzeichen führte das Begegnungszentrum Kinderhaus mit einer fünfköpfigen Kerngruppe unter meiner Leitung und mit Beteiligung der beiden Kinderhauser Pfarrgemeinden in 2019 eine Bewohnerbefragung durch. Diese wurde mit einem ausführlich dokumentierten Exposé hinterlegt. 35 ehrenamtliche Interviewer*innen machten sich dazu mit einem detailliert ausgearbeiteten Fragebögen auf den Weg und erreichten in dem Quartier mit einem Migrationsanteil von 70 Prozent unter den Bewohner*innen eine sehr gute, aussagekräftige Rücklaufquote von 42 Prozent.
Erhebliche Gesundheitsgefahren in den (eigenen) vier Wänden
Die Ergebnisse belegen die erheblichen Gesundheitsgefahren, denen Jung und Alt im Wohnbestand ausgesetzt sind. Die Ergebnisse über Feuchtigkeit und Schimmel in den Wohnungen waren vergleichsweise noch schlechter als in der Siedlung Köln-Chorweiler vor deren Sanierung. So findet sich in fast der Hälfte der Wohnungen aus der Befragung in der Brüningheide Schimmel an den Wänden, Schädlingsbefall gibt es in über 50 Prozent der Wohnungen (siehe Tabelle 1). Zur Erinnerung: Köln-Chorweiler hat als eines der schlimmsten Beispiele für ein vernachlässigtes und heruntergekommenes Wohnprojekt traurige Berühmtheit erlangt.
Tabelle 1: Ermittelte Mängel-Quoten bei Befragungen in Köln-Chorweiler und in der Brüningheide
Folgende Entwicklungsschritte werden von unserer Kerngruppe für die Mängelbeseitigung als unabdingbar erachtet, um überhaupt ein menschenwürdiges Wohnen in der BGP/ZBI-Siedlung in der Brüningheide zu gewährleisten:
1. Umgehende Komplettsanierung der am stärksten von Schäden betroffenen Wohnbereiche Killingstraße 15-31 und Brüningheide 65-73(!)
2. Mittelfristige Komplettsanierung der Wohnbereiche Brüningheide 111-121 und Killingstraße 16-20 sowie anschließend die übrigen Wohnungen
3. Zeitnahe Mängelbehebung in Wohnungsbereichen nach Meldung durch die Mieter*innen
4. Instandhaltung bzw. Erneuerung der Aufzüge
5. Schädlingsbekämpfung
6. Absicherung bezahlbarer Mieten und Nebenkosten
7. Aufwertung des Wohnumfelds und Ausloten von Entwicklungspotentialen
8. Gemeinsame Entwicklung von Lösungen der Müllproblematik durch Verwaltung, Mieterschaft, AWM und Vermieter*innen
9. Verbesserung der Parksituation und Aufwertung der Parkdecks
10. Herstellen eines dauerhaften Dialogs und Informationsflusses mit der Mieterschaft und den Einrichtungen vor Ort
Tabelle 2: Ergebnisse der Befragung in puncto direkte und indirekte Gesundheitsgefahren
Und wie geht es nun weiter in der Brüningheide von Kinderhaus? Die ersten der defekten Aufzüge sind zwar derweil repariert worden und die Befragungsergebnisse mit dem Versprechen beantwortet worden, sich künftig mehr um den Bestand zu kümmern. Dennoch: Der Eigentümer der Wohnsiedlung soll sich im ersten Quartal 2020 erklären, wie er bei der Beseitigung der zahlreichen und teils erheblichen Mängel (siehe Tabelle 2) vorgehen will. Eine Stellungnahme dazu haben sowohl die Stadt Münster als auch das Land Nordrhein-Westfalen von der ZBI angefordert (lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor; Anm. d. Redaktion).
¹Der Beitragsverfasser ist Thomas Kollmann, geschäftsführender Leiter des Begegnungszentrums (BGZ) Kinderhaus.
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