Viele Arbeitnehmer glauben, dass ihnen nicht gekündigt werden kann, wenn sie krank sind. Falsch, sagt der Anwalt Alexander Birkhahn in einem gemeinsamen Interview mit dem Manager Magazin und Spiegel Online. „Ich habe oft Klienten, die sagen: Ich möchte xy kündigen, doch der ist krank. Dann sag ich: Dann schicken wir ihm die Kündigung halt nach Hause“, gibt Birkhahn preis, der Arbeitgeber in Streits mit ihren Angestellten vertritt.
Voraussetzung sei, dass der Arbeitnehmer mindestens sechs Wochen im Jahr unpässlich sei. „Die Fehlzeiten müssen dabei nicht an einem Stück entstehen“, betont er. „Dann geht es um die Prognose: Was hat er denn – und wird er wieder ganz gesund?“ Das bedeutet: Ein Beinbruch hat eine günstige Prognose, weil der irgendwann ausgeheilt und der Angestellte danach wieder voll einsatzfähig ist.
Anders sieht es nach Ansicht des Rechtsanwalts aus Koblenz zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall aus, falls der immer wieder dazu führt, dass der Mitarbeiter ausfällt. Selbst wer sich jeden Erkältungsvirus einfängt, der durchs Land zieht, hat keine guten Karten. Ein schlechtes Immunsystem sei durchaus ein Kündigungsgrund, erklärt Birkhahn. Das gelte sogar, wenn die Arbeit bei Wind und Wetter draußen stattfindet wie zum Beispiel bei Maurern oder im Straßenbau. „Wenn der Arbeitsplatz den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, gibt es da keine Sonderbehandlung.“
Selbst Behinderte seien vor einer krankheitsbedingten Kündigung nicht gefeit, wenn die Krankheit nichts mit der Behinderung zu tun habe. Ein Rollstuhlfahrer, der wegen Erkältung oder Grippe permanent ausfällt, unterliegt den gleichen Bedingungen wie alle anderen auch. „Wenn er jedoch fehlt weil er als Rollstuhlfahrer ständig wund ist vom Sitzen, dann wird es schon schwieriger, ihn zu kündigen.“
Die Beweislast liege allerdings beim Arbeitgeber. „Man geht erst mal von einer negativen Prognose aus, wenn jemand über sechs Wochen krank ist.“ Es gäbe Mitarbeiter, die vor allem an Montagen und Freitagen nicht an ihrem Arbeitsplatz erscheinen würden, was ebenfalls ein Kündigungsgrund sein könne. Ganz so einfach, wie es sich anhöre, sei es aber nicht immer. „Die Krankschreibung vom Arzt hat eine hohe Beweiskraft“, sagt Birkhahn.
Der Arbeitgeber könne aber eventuell durch die Hintertür kündigen. „Ich habe auch viele Mittelständler, die kommen zu mir und sagen: ‚Ich hab da so einen Blaumacher, den will ich loswerden.‘ Dann sag ich: ‚Was haste denn sonst noch so?‘ Oft ist die Krankheit, oder eben die vorgeschobene Krankheit, zwar der Anlass, aber der Kündigungsgrund ist dann ein anderer“, plaudert der Anwalt überraschend offen aus dem Nähkästchen.
Extremsportler müssten sich allerdings keine Sorgen machen: „Wenn ein Fallschirmspringer sich einmal das Bein bricht und das wieder ausheilt, hat er eine gute Prognose“, so Birkhahn. Etwas anders verhält es sich hingegen bei Alkoholmissbrauch: „Wenn jemand Montagmorgen regelmäßig nicht arbeiten kann, weil er Sonntagabend so viel getrunken hat, kann man ihm verhaltensbedingt abmahnen. Wenn er sich aber Montagmorgen besäuft, scheint es krankheitsbedingt zu sein.“ Der Alkoholiker müsse dann in Therapie, um eine positive Gesundheitsprognose zu erreichen. „Sonst war’s das.“
In jedem Fall spiele die Verhältnismäßigkeit eine gewisse Rolle. Bei der Prüfung „werden die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander abgewogen – und hier fällt der Arbeitgeber häufig hinten runter“, bedauert der Anwalt. „Beispielsweise ist man nach 20 Jahren am Band einfach verschlissen. Das ist ein soziales Problem. Rein arbeitsrechtlich wäre eine Kündigung wirksam. Aber so kommt es meistens zu einer Abfindung.“
Anruf bei der Gewerkschaft in Münster. Kündigung bei dauerhafter Krankheit? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Leider doch, bestätigt Gewerkschaftssekretär Klaus Pomberger. „Im Großen und Ganzen stimmt es, was der Anwalt sagt.“ Allerdings ist Pomberger der Meinung, der regelmäßige Ausfall müsse schon deutlich über sechs Wochen liegen. „Wichtig ist eben die langfristige Prognose einer Krankheit und die kann immer nur im Einzelfall entschieden werden“, sagt der Verdi-Mann. „Genau aus diesem Grunde rate ich, dem Arbeitgeber nicht allzu viel auf die Nase zu binden, bei Gesprächen, insbesondere im Zusammenhang mit einer bestehenden Erkrankung, die oft als Krankenrückkehrgespräche im Rahmen der Fürsorgepflichten des Arbeitgebers bezeichnet werden.“ Oftmals würden Arbeitgeber, so Pomberger, diese oft so fürsorglich und wohl klingenden Gespräche mit kranken oder wieder gesunden Mitarbeitern nur aus einem Grund führen: Sie hoffen aus der Unterhaltung eine negative Prognose herleiten zu können, „um sich der angeblich immer wieder viel zu teuren Lohnfortzahlungspflicht zu entledigen“, weiß der Gewerkschafter.
Gerrit Hoekman
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