Arbeit und Soziales

Schwerwiegende Auswirkungen bei Kürzungen

Langzeitarbeitslose und Träger sozialer Arbeit trifft das hart

Von Hans Römer Santaella

Im Haushaltsplan 2025 sind erhebliche Kürzungen im Bereich Soziales beschlossen worden. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in NRW, so auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, müssen ihre Unterstützung und Hilfen einschränken.

Die Sperre Redaktion hat das NRW Arbeits- und Sozialministerium kontaktiert und bat um eine Stellungnahme bzw. um ein Interview mit Minister Karl-Josef Laumann. Fragen wurden schriftlich eingereicht. Einige Zeit später bekam unser Redaktionsbüro die Antworten in Form einer e-Mail- Zusendung.

Foto: Agneta Becker

SPERRE: Momentan wird über Möglichkeiten von Gegenmaßnahmen beraten, wenn Arbeitslose und SGB-II-BezieherInnen Leistungen beziehen, sich aber weigern, eine Arbeit anzunehmen. Wie ist Ihre Einschätzung zu diesem Thema?

Laumann: Wir müssen bei der Debatte um die sogenannten“ Totalverweigerer“ aufpassen, dass wir nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken verfallen. Im Jahr 2023 waren laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit bundesweit 128.000 erwerbsfähige Personen von einer Leistungsminderung betroffen. Das ist gemessen an allen Personen, die vom Jobcentern betreut werden und arbeiten können, gerade einmal jeder zweihundertste.

Zahlen von mindestens 100.000 dieser SGB-II-Leistungsbezieher werden genannt. Es werden also immer weniger…

Laumann: Die überwiegende Mehrzahl von denen wird übrigens deshalb sanktioniert, weil sie sich nicht beim Jobcenter gemeldet haben. Dagegen gibt es vergleichsweise wenige Menschen, deren Leistungen gemindert werden, weil diese ein konkretes Angebot einer Arbeit, Ausbildung oder sonstiger Maßnahme ausgeschlagen haben. Im letzten Jahr gab es bundesweit nur vergleichsweise wenige neu festgestellte Leistungsminderungen, weil Leistungsbezieher eine Arbeit, Ausbildung oder sonstige Maßnahme nicht angenommen hatten.

Warum ist das Thema gerade dann so mit Emotionen aufgeladen?

Laumann: Klar ist: Solidarität kann keine Einbahnstraße sein. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die die Grundsicherungsleistungen finanzieren, erwarten zu Recht, dass Menschen, die Leistungen erhalten, sich auch um Arbeit bemühen. Wer ein konkretes Arbeitsangebot dann nicht antritt, muss auch spüren, dass die Solidarität der Gemeinschaft auch Grenzen hat. Wir haben in vielen Bereichen längst nicht mehr „nur“ einen Fachkräftemangel, sondern insgesamt einen Arbeitskräftemangel. Zugleich gibt es immer noch viel zu viele arbeitslose Menschen. Da müssen wir besser werden und mehr Anstrengungen darauf verwenden, dass die Jobcenter diese Menschen in Arbeit vermitteln.

Wie kann es denn sein, dass das Jobcenter Münster beispielsweise für die Förderung von den sogenannten “Ein-Euro-Jobs“ und ähnlichen Arbeitsstellen Subventionen reduziert hat? Es werden da viele Zuschüsse gekürzt, die Arbeitslosen helfen könnten. Wie erklären Sie diese Maßnahmen?

Karl-Josef Laumann – Foto: Land NRW – Ralph Sondermann

Laumann: Bei den AGH-Stellen, den “Ein-Euro-Jobs“, handelt es sich um sehr niederschwellige Maßnahmen, die sich an arbeitsmarktferne Menschen richten, die bisher nicht in Arbeit gebracht werden konnten. Bei der 16i-Förderung geht es um die langfristige Förderung von echter sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Hierbei freut es mich besonders, dass rund 35 Prozent der Förderfälle in der Privatwirtschaft umgesetzt werden, wo wir gute Übergangschancen nach Förderende haben. Aber auch die 38 Prozent der Stellen bei der Freien Wohlfahrtspflege und die 27 Prozent bei der öffentlichen Hand bieten gute Beschäftigungsmöglichkeiten für ehemalige Langzeitarbeitslose. Seit Beginn der Förderung konnten in Nordrhein-Westfalen rund 40.000 Menschen von der Fördermöglichkeiten des Teilhabechancengesetzes profitieren.

Umso nachdrücklicher nochmal die Frage… Worauf stützen sich diese Kürzungen?

Laumann: Nach den aktuellen Planungen im Bundeshaushalt werden die Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ab 2025 stark reduziert. Diese Entwicklung betrifft alle Jobcenter und damit auch das Jobcenter Münster. schon jetzt sind Einschnitte spürbar. Das liegt daran, dass die Jobcenter mit Blick auf die zukünftig sinkenden Finanzmittel bei den langlaufenden Maßnahmen häufig schon proaktiv auf die Bremse treten mussten. Außerdem haben sich im letzten Jahr bereits die tariflichen Gehaltssteigerungen in der Verwaltung der Jobcenter ausgewirkt.

Welche Folgen hat das alles für den Sozialstaat?

Laumann: Nach übereinstimmender Einschätzung aller wesentlichen Akteure ist der soziale Arbeitsmarkt ein erfolgreiches Instrument, um Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen. Die Kürzung bei der Förderung Langzeitarbeitsloser wird daher womöglich teils schwerwiegende Auswirkungen auf die Trägerlandschaft vor Ort haben und insbesondere die sozial Schwächsten in der Gesellschaft treffen.

Wie sieht dann die Zukunft am Arbeitsmarkt aus?

Laumann: Ausgerechnet bei den Jobcentern zu sparen, ist daher keine gute Idee.
Denn wir stehen gesellschaftlich vor einer Riesen-Herausforderung: In den nächsten zehn Jahren werden 1,5 Millionen Beschäftigte in Nordrhein-Westfalen aus Altersgründen den Arbeitsmarkt verlassen. Um die Stabilität und Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme zu gewährleisten, müssen wir die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aber konstant halten. Dazu müssen die Jobcenter durch die Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit einen erheblichen Beitrag leisten.
Das Land setzt sich daher beim Bund massiv für eine auskömmliche Finanzierung der Jobcenter ein.

Und wie steht es um das Projekt Job-Turbo und die Arbeitsintegration von Migranten?

Laumann: Wir müssen hier unterscheiden: Es gibt den Job-Turbo der Bundesregierung, der bei den Jobcentern durchgeführt wird, bei denen die Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Träger gemeinsam die Verantwortung tragen.

Foto: Agneta Becker

Diese Klarstellung wurde in anderen Interviews zu diesem Thema auch immer wiederholt betont.

Laumann: In NRW haben wir das „Vermittlungsoffensive“ genannte Programm, welches zur Fachkräfteoffensive gehört und bei den Jobcentern in ausschließlich kommunaler Trägerschaft verortet ist; zu letzterem gehört auch Münster. Der Job-Turbo der Bundesregierung zielt alleine auf die Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen ab.

Funktioniert die Bundesstrategie zur schnellen Arbeitsintegration von Migranten? Ist das Projekt des Bundesministers für Arbeit, ihres Kollegen auf Bundesebene, erfolgreich? Wie ist ihre Einschätzung?

Laumann: Die Vermittlungsoffensive der Landesregierung, für die spreche ich hier, richtet sich dagegen zwar insbesondere auch an Geflüchtete, aber nicht nur. Alle Menschen, die von den Jobcentern betreut werden, sollen davon profitieren und noch besser als bisher in Beschäftigung vermittelt werden. Dabei sind die Unternehmen wichtige Partner. Es geht um eine möglichst schnelle und umfassende Ansprache und Aktivierung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten durch die Jobcenter. Dahinter steht die Idee: Jede(r) wird gebraucht, Jede(r) soll ein Angebot erhalten – und jede(r) muss sich einbringen, um mit Hilfe der Unterstützungsangebote der Jobcenter den Übergang in Beschäftigung zu schaffen.

Was sind die Ergebnisse?

Laumann: Die bisherigen Erfahrungen aus der Vermittlungsoffensive sind dabei ermutigend. Es liegen zwar noch keine konkreten Auswertungen vor, aber die Integrationszahlen bei den Jobcentern sind offenbar deutlich gestiegen. Wir erklären uns das damit, dass innerhalb der Vermittlungsoffensive mehr Beratungsgespräche geführt werden und dass dadurch Arbeitgeber und Arbeitnehmer besser zusammengeführt werden können.