Die geplante Buslinienänderung der Stadtwerke stößt auf Unverständnis
Von Regina Ioffe
Die Stadt Münster bzw. ihr kommunales Verkehrsunternehmen, die Stadtwerke Münster, wollen die Linienführung einiger ihrer Buslinien umkrempeln. Stark davon betroffen ist der Stadtteil Coerde im Norden von Münster. Das Ziel der Änderungen, die Fahrzeiten der Busse zu verkürzen, wird durch längere Abstände zwischen den Haltestellen erkauft.
Dagegen formiert sich inzwischen der Protest der Betroffenen. Orthopädische Praxis am Bült, an einem ganz normalen Praxistag, ein Patient mit Krücken steht an der Anmeldung.
Ich werde Zeugin eines interessanten Gesprächs:
„Wussten Sie schon, dass die Buslinie 8 zukünftig nicht mehr an der Haltestelle Altstadt/Bült anhält?“
„Wie bitte? Darüber wusste ich bisher gar nichts.“
„Doch, die Stadtverwaltung Münster, das Amt für Tiefbau und Mobilität, die wollen das so.
Wenn Sie dagegen sind, können Sie gerne diese Liste hier unterschreiben.“
„Ich bin gerade noch mit der Buslinie 8 hierhergekommen.“
Der Patient mit den Krücken unterschreibt schnell und sehr gerne. Die Arzthelferinnen hören dem Gespräch interessiert zu.
Eine gute Busanbindung ist Teil der allgemeinen Vorsorge für Alle
Ein ähnliches Gespräch könnte in jeder augenärztlichen, neurologischen, radiologischen und all den anderen Facharztpraxen stattfinden, die in der Innenstadt von Münster zahlreich zu finden sind. In den Außenstadtteilen gibt es hauptsächlich nur die Praxen von Allgemeinmedizinern, Kinder- und Zahnärzten. Die medizinische Versorgung gehört zur kritischen Infrastruktur und sollte mit verschiedenen Verkehrsmitteln für alle Bürger*innen gut erreichbar sein. Wohlgemerkt: für Alle. Für Reiche und Arme, für Junge und Alte, für Beschäftigte und Arbeitslose, für Deutsche und für Menschen mit Migrationshintergrund. Für alle, die mal zum Arzt müssen und Hilfe brauchen.
Gemeinsam mit den Stadtwerken plant die Stadt Münster für die kommenden Jahre eine Neuordnung der Stadtbuslinien. Die Linien 6 und 8 sind als erste von den Veränderungen betroffen, für die Busse am Altstadt/Bült wird es zukünftig laut Plan keine Haltestelle mehr geben. Das trifft den einkommensschwachen Stadtteil Coerde besonders hart. Dort wohnen in sozialen Wohnungen nicht nur viele arme, sondern auch viele gesundheitlich beeinträchtigte Menschen. Die Busse werden zukünftig von Coerde nach Mecklenbeck und Albachten fahren. Die Linien 15 und 16 verbinden Kinderhaus mit Gremmendorf bzw. Wolbeck. Ziel sei die Stärkung des ÖPNV, so heißt es. Die Stadt Münster und ihre Stadtwerke als kommunale Betreiber des Busverkehrs sehen als „Schlüssel“ zum Erfolg die Verkürzung der Fahrzeiten.
Die städtische Verkehrsstrategie 2035+ sieht vor, den Anteil umweltfreundlicher Verkehrsmittel wie unsere Füße, das Fahrrad, den ÖPNV am Gesamtverkehr zu steigern und den des motorisierten Individualverkehrs (MIV) zu vermindern. In Münster beträgt der Anteil des Personenkraftverkehrs (PKV) am Gesamtverkehr aktuell 34 Prozent. Das ist schon wesentlich weniger als in anderen deutschen Großstädten, angestrebt wird aber eine Halbierung des PKV-Anteils. Dafür will Münster neue Radwege bauen bzw. die vorhandenen verbessern und strebt an, den ÖPNV attraktiver zu machen, damit mehr Menschen statt dem Auto den Bus nehmen. Außerdem ist geplant, den Abstand zwischen einzelnen Bushaltestellen von gegenwärtig 200 bis 300 Metern auf bis zu 400 bis 500 Metern zu vergrößern.
Der angepriesene Schlüssel passt nicht zum Schloss
Ob der von den Stadtwerken angepriesene „Schlüssel“ – die Verkürzung der Fahrtzeiten mit dem Bus – tatsächlich ins Schloss zur Lösung der Probleme passt? Ob die gewünschte Verkürzung der Busfahrtzeiten um „stolze“ vier oder sieben Minuten so erfolgsversprechend ist, dass Menschen massenhaft von ihren Autos auf die Linienbusse umsteigen, das bleibt für mich allerdings rätselhaft. Es ist interessant für mich zu hören, was die Bestandskunden des Busverkehrs in Münster über die geplanten Änderungen meinen:
„Kürzere Fahrzeiten, dafür längere Fußwege, nicht grad benutzerfreundlich!“
Ja, es stimmt zwar, die Busfahrtzeit verkürzt sich, doch die gesamte Anfahrtszeit zur Innenstadt erhöht sich durch einen längeren Fußweg oder die Notwendigkeit umzusteigen. Und wenn die Person alt, vorübergehend oder dauerhaft krank, mobilitätseingeschränkt ist? Wenn sie mit kleinen Kindern kommt? Und das bei jedem Wind und Wetter, eventuell auch mit Gepäck, wenn man nach dem Einkaufen in der Innenstadt zurück nach Hause will.
Wo ist denn da der „Schlüssel zum Erfolg“, der den ÖPNV so attraktiv macht? Es entsteht dann der Anreiz, statt mit dem Bus mit dem Taxi oder Auto zur Innenstadt und wieder zurück zu kommen. Gerade so ein „Schlüssel“ ergibt sich für viele Bestandskunden als falsch! Auch über die vorgesehene Aufhebung der Bushaltestelle Maximilianstraße, die zuvor erst sehr aufwendig für Menschen mit Behinderungen umgebaut worden ist und die durch die neue Führung der Linien 6 und 8 hinfällig würde, regen sich viele Bestandskunden auf: „Was ist mit den entstandenen Kosten?? Hat die Stadt – also wir Steuerzahler – so viel Geld?“
Sammlung von Unterschriften gegen neue Buslinien
In Coerde und im Rumphorstviertel waren innerhalb einer kurzen Zeit insgesamt rund tausend Unterschriften gegen die geplante Buslinienänderung 6 und 8 gesammelt worden, weitere 500 Unterschriften kamen aus dem Kreuzviertel hinzu; außerdem wurden noch etwa 450 Unterschriften online auf der Seite www.change.org gesammelt. Bürgerinitiativen kritisierten den Verkehrsversuch auf der Hörsterstraße im Jahr 2021, der bei gutem Wetter im Sommer durchgeführt wurde und somit wenig repräsentativ für späten Herbst und Winter war.
Um neue Fahrgäste zu gewinnen, sollte auch die Qualität des ÖPNV stimmen. Gerade im vorigen Jahr mit all seinen steigenden Kosten für Energie und Rohstoffe nahm das Angebot an Busfahrten und die Pünktlichkeit bei der Einhaltung des Busfahrplans bei der Stadtwerke Münster stark ab. Ich gebe einige Meinungen von Bestandskunden dazu wieder:
„Die Busse sind unpünktlich oder fallen ohne Grund aus. Wir reden nicht von fünf Minuten Wartezeit, sondern von einem Komplettausfall. Also auf eine halbe Stunde warten muss man sich einstellen“.
„Ständig fallen Nachtbusse aus, sodass man einsam und kraftlos auf den nächsten warten muss.“
„Der Busplan ist ein Witz. Der Bus kommt sowieso, wann er will.“
Die geplanten Änderungen der Buslinien in Münster zur Entlastung der Innenstadt werden dazu führen, dass die Fahrgäste häufiger umsteigen müssen. Wenn aber der Fahrplan nicht eingehalten wird, dann können wir uns auf ein Szenario einstellen, das uns von der Deutschen Bahn bestens bekannt ist. Dazu eine weitere Kundenstimme:
„Schlimmer als die Deutsche Bahn. Die Busse sind durchgehend mit mehr als zehn Minuten Verspätung unterwegs, wenn man ‘nen Anschluss braucht, kann man’s eh gleich vergessen.“
Und mit so einer Qualität will man Menschen ernsthaft überzeugen, das Auto gegen die öffentlichen Verkehrsmittel zu tauschen?
Verkehrs- und Stadtplanung gehören zusammen
Die Stadt Münster beauftragte das Unternehmen PTV Transport Consult GmbH aus Düsseldorf für die Analyse der vorhandenen Verkehrssituation in Münster und Chancen und Risiken bei der Umsetzung des Masterplans Mobilität Münster 2035+. Ein wichtiges Zitat aus dem Bericht bezüglich der Mobilität in der Innenstadt Münster lautet, dass: …„ein gewisses ,Grundrauschen‘ im Bereich des MiV nur schwerlich zu unterbinden sein wird (weil Teile der Gesellschaft – u. a. Senioren und mobilitätseingeschränkte Personen – und innerstädtische Einrichtungen auch künftig auf eine grundsätzliche Erreichbarkeit mit dem MiV angewiesen sein werden).“.
Bis heute betrachtet die Stadt Münster die Verkehrsplanung und die Stadtplanung jeweils isoliert voneinander. In den vorangegangenen Jahrzenten konzentrierte die Stadtplanung auf der kleinen Fläche des historischen Stadtzentrums mit seinen eingeschränkten Verkehrskapazitäten mehrere verschiedene Dienstleister – von städtischen Ämtern über medizinische Einrichtungen bis zu großen Einkaufshäusern und Dienstleistern wie Post und Banken. Man erzeugte somit riesige Pendlerströme von den verschiedenen Stadtteilen zum Stadtzentrum.
Bei einer wachsenden Stadt wie Münster reichen die Straßen- und Parkplatzkapazitäten in der Innenstadt längst nicht mehr aus, diese Pendlerströme zu bewältigen. Eine Folge: Die zulässigen Grenzwerte für Lärm oder Luftschadstoffe werden überschritten. Als eine mögliche Lösung des Problems wird aktuell eben gerade diskutiert, die Zahl der Busrouten im Stadtzentrum zu verringern und ebenso dort einige Bushaltestellen aufzuheben. Dafür gibt es klare Vorschläge. Auf der anderen Seite gibt es aber leider gegenwärtig überhaupt keine konkreten Lösungen für das Problem, wie die Dienstleister im Stadtzentrum für mobilitätseingeschränkte Menschen erreichbar bleiben sollen. Diese Problematik fällt schlicht unter den Tisch, was alles andere als sozial und ethisch ist.
Die 15-Minuten-Stadt als Richtlinie
Der aus der Schweiz stammende Alain Thierstein, Professor für die Raumentwicklung an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München, meinte in einem Interview für die Bauwelt über die europäischen Städte: „Von der monozentrischen Vorstellung der Stadt sind wir heute längst bei einer polyzentrischen Stadtvorstellung gekommen, die ist einfach ein Faktum, aber wir haben bisher kaum Vorstellungen, wie wir diese polyzentrische Stadtstruktur organisieren.“
Eine polyzentrische Stadtstruktur, eine Durchmischung von Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Handel usw. könnte Verkehrsprobleme langfristig lösen. So eine Strategie ist in ausländischen Metropolen mit Millionen von Einwohner*innen in Verwirklichung. In Westeuropa geht es um die 15-Minuten- Stadt, um die „Stadt der kurzen Wege“, um die Ansiedlung von wichtigen Dienstleistern rund um verschiedene leistungsfähige Verkehrsknotenpunkte anstelle von einer enormen Konzentration im Stadtzentrum.
Eine Verkehrsplanung kann nicht isoliert von der Stadtplanung gelingen. Eine gute Erreichbarkeit von wichtigen Dienstleistern mit dem ÖPNV bei kurzen Fußwegen wird gerade für eine alternde Gesellschaft wichtig.
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