Von einer Klimagerechtigkeit sind wir so weit entfernt wie von einer gerechteren Verteilung des Reichtums – mindestens
Die Klimakrise trifft alle Menschen – wenn auch ganz unterschiedlich stark. Ähnlich sieht es bei der Frage nach der Verantwortung für die Krise aus, nach dem Anteil, den jeder Mensch an der Erderwärmung hat. In den industrialisierten Ländern des globalen Nordens verhält es sich ähnlich wie bei der Verteilung von Finanzen und Vermögen: Eine zahlenmäßig relativ kleine Bevölkerungsgruppe ist für einen Großteil der schädlichen Klimagase verantwortlich.
Von Thomas Krämer
Um es vorwegzunehmen: In puncto Klimabelastung herrscht in den Industrieländern ein Klassenunterschied. Reiche Menschen sind für ein Vielfaches von den in die Atmosphäre freigesetzten klimarelevanten Gasen verantwortlich als Menschen aus dem Mittelstand und insbesondere als arme Menschen.
Bildlich gesprochen: Wenige hinterlassen die CO2-Fußabdrücke von Riesen, die Vielen der überwiegenden Mehrheit dagegen solche von Zwergen. Und selbst dieses Bild gibt den Abstand zwischen beiden Gruppen nur unverhältnismäßig wieder. Die reichsten Deutschen setzen tausendmal so viel Treibhausgase frei wie der Durchschnitt der Bevölkerung.
Laut Süddeutscher Zeitung leben in Deutschland im Jahr 2023 über eine halbe Million Millionäre. Die SZ bezieht sich bei der Veröffentlichung dieser Zahl auf den aktuellen Global Wealth Report der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Die Superreichen verfügen demnach über ein Vermögen von mehr als eine Million US-Dollar. Ultrareich darf sich nennen, wer mehr als 100 Millionen US-Dollar sein Eigen nennen kann. 2900 Menschen gehören zu dieser Vermögensgruppe. Damit nimmt Deutschland Rang drei hinter den USA und China ein.
Große Emissionsungleichheit
Die vordersten Plätze in der Rangliste der reichsten Menschen Deutschlands nehmen derzeit laut dem US-Wirtschaftsmagazin Forbes die 126 Milliardäre in unserem Land ein. Ganz oben steht Dietmar Schwarz, Unternehmensgründer und Eigentümer der Schwarz-Gruppe (Kaufland/Lidl), mit einem Vermögen von 42,9 Milliarden US-Dollar.
Wie Reichtum und Vermögen sind in Deutschland die Emissionen nicht gleich verteilt. Experten sprechen von einer Emissionsungleichheit. Ganz ähnlich der sozialen Schere geht die „Klimaschere“ zwischen Arm und reich sehr weit auseinander. Und in der Tat spiegelt sich die tiefe Spaltung der Gesellschaft auch in den unterschiedlichen Ausmaßen der Klimawirksamkeit wider.
Darüber können auch die Pro-Kopf-Emissionen nicht hinwegtäuschen. Sie werden gerne in öffentlichen Diskussionen genannt, um den Klimaschutz anschaulicher zu machen oder das Handeln gegen die Klimakrise in einer Zahl zu fassen. Aber sie verschleiern die wahren Verhältnisse. Sie erzeugen den Eindruck, dass alle Menschen – sei es eines Landes oder global gesehen – den gleichen Anteil an und damit auch die gleiche Verantwortung für die Klimakrise haben.
Verschleiernde CO2-Fußabdrücke
Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes für 2023 beträgt der durchschnittliche CO2-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland 10,5 Tonnen CO2 (genau gesagt CO2-Äquivalente, da in diese Berechnung auch weitere Treibhausgase wie Methan eingehen). Zum Vergleich der Wert für eine*n Inder bzw. Inderin: 1,9 Tonnen (2021). Weltweit waren es 2019 durchschnittlich 6 Tonnen.
Das Klimaschutzgesetz begrenzt den zulässigen Ausstoß von CO2 in Deutschland für 2030 auf 440 Millionen Tonnen. Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung stünde dann keinem Menschen mehr als 5,3 Tonnen pro Kopf und Jahr zu. Das wäre zwar gegenüber 1990 eine Abnahme um rund zwei Drittel, aber lediglich eine Zwischenetappe. Denn 2045 soll Deutschland mit null Emissionen treibhausgasneutral oder klimaneutral werden.
Wie erklärt sich diese Emissionsungleichheit, und wie erklären die Mitglieder der relativ kleinen Bevölkerungsgruppe ihren vergleichsweise hohen CO2-Anteil? Entsprechende Informationen zu bekommen, gestaltet sich als schwierig. Die meisten reichen Menschen sprechen nicht gerne über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse – zumindest nicht öffentlich. Sie bleiben lieber unter sich und führen ein nach außen abgeschirmtes Leben.
Manchmal gewähren sie aber doch Einblicke oder Auskünfte. So gelang es etwa einem Fernsehteam des NDR-Politikmagazins Panorama, den Verleger Julien Backhaus im Herbst 2022 auf einer Dienstreise zu begleiten und Fragen zu seinem Lebensstil zu stellen. Die Strecke von unter 500 Kilometern zwischen Wilhelmshaven und Frankfurt zur Buchmesse wird im Privatjet zurückgelegt. In nicht mal einer Stunde. Mit der Bahn zu fahren, davon hält Backhaus nicht viel. Er zeigt Klassenbewusstsein: „Ich finde es momentan abartig, in öffentlichen Verkehrsmitteln mit diesen ganzen kotzenden und keuchenden Leuten eine Kabine zu teilen. Das mache ich so selten, wie es möglich ist.“
Auf der Kurzstrecke zu fliegen mag komfortabel sein, klimaschädlich ist sie in jedem Fall. Ob ihm das Klima egal sei, wird Backhaus in der Reportage gefragt. „Ich mache mir wenig Gedanken darüber“, antwortet er. Und wenn sich alle so verhielten wie er? „Dann würde das Konzept nicht mehr funktionieren. Aber zum Glück gibt es ja auch immer eine Aufteilung in der Bevölkerung, und ich gehöre eben zu der kleinen [Gruppe], die sich das erlaubt.“
Reichtum ist in der Regel klimaschädlich
Allerdings sei hinzugefügt: Ein Großteil der Treibhausgase der Reichen und Vermögenden entstammt unternehmerischen Aktivitäten. Viele ihrer Investitionen haben die Freisetzung von Klimagasen zur Folge. Aber ihr privater Konsum und Lebensstil bleibt dennoch deutlich klimaschädlicher als der der überwiegenden Mehrheit. Denn neben Privatjets erlaubt sich die Finanzelite häufig auch schnelle Autos oder luxuriöse Yachten und lebt in wesentlich größeren Häusern.
Verleger Backhaus emittiert auf seinem Kurztrip im Privatflieger in etwa soviel Treibhausgase wie die ärmsten Menschen in einem ganzen Jahr. Zahlreiche Millionäre kommen auf einen jährlichen CO2-Ausstoß von 100 Millionen Tonnen, Superreiche sogar auf mehrere tausend Tonnen CO2. Dieser Aspekt des Reichtums rückt erst seit einigen Jahren mit Aufkommen der Klimadebatte verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit. „Da hat man eben gesehen, dass eine wichtige Dimension, eine wichtige Facette des Reichtums die Klimaschädlichkeit ist“, sagt der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber.
Aufschlussreiche Daten zur Ungleichheit liefert die Denkfabrik World Inequality Labs – auch zur Emissionsungleichheit. Sie hat die entsprechenden Daten für die meisten Länder der Welt zusammengestellt. Für Deutschland ergeben sich in dem Zeitraum von 1991 bis 2019 folgende Zahlen: Das reichste ein Prozent der Deutschen emittierte 2019 etwa 105 Millionen Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Das ist fast 35-mal mehr als der Wert der ärmsten Deutschen, der bei etwas über 3 Tonnen lag.
Ein Blick auf die Superreichen offenbart eine noch größere Ungleichheit: Die reichsten 0,001 Prozent – das sind etwa 800 Menschen – kommen schätzungsweise auf einen Wert von 11.700 tonnen CO2, also mehr als das Tausendfache des deutschen Durchschnitts.
800 Menschen emittieren tausendmal mehr als der deutsche Durchschnitt
Zwischen 1991 und 2019 haben die Emissionen in Deutschland übrigens um zirka 34 Prozent abgenommen. Das ist das Verdienst von den zwei ärmeren Dritteln der Bevölkerung, die 34 Prozent weniger Klimagase freigesetzt haben, teilweise noch deutlich weniger. Dieser Teil der Bevölkerung hat wesentlich verantwortungsvoller gehandelt als das reichere Drittel, das weniger Emissionen vermied. Und blickt man wiederum auf die reichsten 800 Deutschen, so zeigt sich: Sie haben ihre Emissionen nicht vermindert, sondern gar um 10 Prozent erhöht. Wie die Ungleichheit bei den Vermögen ist die Emissionsungleichheit in den vergangenen drei Jahrzehnten größer geworden. Derweil setzen die reichsten 10 Prozent der deutschen Bevölkerung mehr Klimagase frei als die ärmeren 50 Prozent. Das war bis 1990 noch nicht der Fall.
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