Wie die Regierung die Arbeitsaufnahme behindert
Die Anrechnung von Einkommen bei dem Bezug von Hartz-IV-Leistungen kann zu seltsamen Ergebnissen führen. Wer eine Arbeit annimmt, muss unter Umständen erst mal einen Kredit aufnehmen.
Petra K. ist glücklich. Endlich hat sie einen Job gefunden. Einen Job, der sie und ihre beiden Kinder ernähren kann. In Zukunft wird sie so viel verdienen, dass sie nur noch zu einem geringen Teil auf Leistungen des Jobcenters angewiesen sein wird. Am 1. Oktober soll die Stelle beginnen. Das erste Geld würde sie Ende Oktober erhalten. Dies teilte sie dem Jobcenter auch so mit.
Dann kam aber etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte: Das Jobcenter stellte die Leistungen zum Oktober umgehend ein. Zur Begründung hieß es: Da sie ja nun im Oktober Geld von ihrem neuen Arbeitgeber erhalte, erübrigten sich die Zahlungen des Jobcenters. Weil aber das Jobcenter die Leistungen im Voraus erbringt – Ende September für den Monat Oktober – steht Petra K. Anfang Oktober ohne Geld da. Denn der Arbeitgeber zahlt ja erst am Monatsende.
Hintergrund ist hier die vom Jobcenter angewandte „Zuflusstheorie“, die besagt, dass alle Einkommen im laufenden Monat angerechnet werden. Und dies ganz unabhängig davon, wann genau die Zahlung stattfindet. Bei einem Einkommen, das erst am Ende des Monats zugeht, wird davon ausgegangen, dass es im ganzen Monat zur Verfügung stand. Aber diese Theorie macht nicht satt. Und den Vermieter Anfang des Monats auf die Lohnzahlung am Ende zu verweisen, klappt auch nicht. Also bleibt Petra K. nur übrig, beim Jobcenter ein Darlehen für den Monat Oktober zu beantragen. Mit anderen Worten: Ihre neue Arbeitsstelle beginnt sie mit Schulden.
Dass dies nicht so sein sollte, das hat auch der Gesetzgeber bei der Beratung zu der jüngsten Hartz-IV-Reform gemerkt. In einem Referentenentwurf dazu wurde vorgeschlagen, das Arbeitseinkommen in solchen Fällen erst im darauf folgenden Monat anzurechnen. Eine ziemlich gute und ziemlich einfache Lösung. Am Ende aber offenbar zu gut und zu einfach, wie sich später herausstellte. Diese geplante Veränderung wurde im späteren Gesetzgebungsverfahren ersatzlos gestrichen.
Es bleibt also alles beim Alten. Mit dem für viele Betroffene so ärgerlichen Effekt: Bei Arbeitsaufnahme erst mal Schulden machen.
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