Armutsschere öffnet sich immer weiter und gefährdet den sozialen Zusammenhalt
Mehrere Studien haben die Verteilung des Reichtums untersucht – weltweit, in den Nationalstaaten, in den Regionen und in den Städten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich mit den Jahren immer weiter wächst. Dadurch gerät die gesellschaftliche Balance außer Kontrolle. Selbst arbeitgeberfreundliche Wirtschaftsverbände sind von dieser Entwicklung alarmiert.
Auf dieser Erde gibt es 62 Menschen, die so vermögend sind wie die Hälfte der Weltbevölkerung – das sind 3,5 Milliarden Menschen. Mit diesen verstörenden Zahlen hat die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam unlängst Aufmerksamkeit erregt. Hier drückt sich eine Ungleichheit aus, die tendenziell zunimmt. Wobei die Details nicht das Entscheidende sind, denn Oxfam weist darauf hin, dass es geschätzte Zahlen sind. (Allein durch Kursschwankungen an den großen internationalen Börsen wechseln die Vermögen der „Donald Trumps“ täglich um zig Millionensummen.)
Grundlage der Studie ist einerseits das US-Magazin Forbes, welches regelmäßig eine Liste der Superreichen veröffentlicht, sowie Erhebungsdaten der Bank Credit Suisse. Selbst wenn es nicht 62 Menschen sind, sondern 130, die Kraft der Aussage bleibt erhalten: Der Wohlstand dieser Welt ist extrem ungleich verteilt. Zum Vermögen gehören laut der Studie unter anderem Bankguthaben, Immobilien, Versicherung- und Wertpapiere. Der weltweite Reichtum verteilt sich zu ca. 40 Prozent auf die USA, zu 3 Prozent auf Lateinamerika, 1,5 Prozent entfallen auf Indien, 1 Prozent auf Afrika. Da ein Großteil der Weltbevölkerung nahezu gar nichts besitzt, gehört man mit bescheidenen Ersparnissen in der sogenannten ersten Welt bereits zu den Wohlhabenden.
Da aus dieser globalen Perspektive der Reichtum schon beim Hausbesitzer hierzulande anfängt, ein Blick nach Deutschland: Dafür legt das Manager Magazin ebenso wie sein amerikanisches Vorbild regelmäßig eine Rangliste vor. Laut der letzten Erhebung besaßen die 100 vermögendsten Bundesbürger geschätzt circa 428 Milliarden Euro. Die wahre Größenordnung der Vermögen hierbei ist ebenfalls unbekannt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) will herausgefunden haben, dass 0,1 Prozent der reichsten Besitzenden über gut 15 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland verfügen, die reichsten zehn Prozent über gut die Hälfte. Der Direktor des DIW, Marcel Fratzscher, meint laut Süddeutscher Zeitung, dass in keinem Land Europas die Privatvermögen so ungleich verteilt seien wie in Deutschland. Fratzscher, der sich zum kapitalistischen Wirtschaftssystem bekennt, ist zudem der Ansicht, dass zu viel Ungleichheit der Wirtschaft insgesamt schade. Während der kleine Teil an der Vermögensspitze immer reicher werde, haben sich die Geringeinkommen der Arbeitnehmer seit 1990 nicht nur nicht erhöht, sondern im Gegenteil verringert. Das bedeute Kaufkraftverlust und Wachstumsstagnation.
Laut dem neuen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands für das Jahr 2014 lag die Quote der von Armut betroffenen Menschen bei 15,4 Prozent. Als arm gilt jemand, der 60 Prozent des Durchschnitteinkommens zur Verfügung hat. Von den 12,5 Millionen betroffenen Menschen sind 3,4 Millionen Menschen im Rentenalter. Die Entwicklung sei bei dieser Gruppe besorgniserregend, so der Paritätische. Die Rente reiche vielfach nicht mehr, um der Armutsfalle im Alter zu entkommen. Seit 2005 ist diese Quote um 46 Prozent gestiegen. Auch der Kinderarmutsanteil ist mit 19 Prozent erschreckend hoch. Erwerbslose und Alleinerziehende seien zwei weitere Bevölkerungsgruppen, die besonders gefährdet seien.
Problemregion Nummer eins in Nordrhein-Westfalen ist das Ruhrgebiet. Hier ist der Armutsanteil in der Bevölkerung seit 2006 um 27 Prozent gestiegen. Er liegt jetzt bei 20 Prozent, ein neuer Höchststand. Auch in Münster, nach allgemeiner Ansicht eine relativ reiche Stadt, stieg die Armutsquote in den letzten Jahren um die Hälfte. Nur, das ist ja die Botschaft: Da, wo es viel Reichtum gibt, da sind auch hohe Armutsraten anzutreffen. Zwar liegt Münster immer noch am unteren Ende der Skala bei den Städten in Nordrhein-Westfalen – nur Bonn, Arnsberg und Siegen geht es besser –, doch auch in Münster steigt der Wert: von 11,5 Prozent im Jahr 2005 auf 15,1 Prozent im Jahr 2014.
Was wäre zu tun? Seit dem Jahr 1996 ist die Vermögenssteuer ausgesetzt. Sie auf den Ertrag des Vermögens, wenn schon nicht auf das Vermögen selbst zu erheben, wäre eine Möglichkeit. Die von vielen danach befürchtete Kapitalflucht ins Ausland wird durch internationale Vereinbarungen immer schwieriger und sich kaum noch lohnen. Die Korrektur der Schieflage, dass Arbeit weit höher als Kapital besteuert wird, wäre fast schon alternativlos und eine ureigene Aufgabe der Politik. Hinter dem Höhenflug rechter Parteien bei den jüngsten Wahlen vermuten Experten vordergründig eine Reaktion auf die gegenwärtige Flüchtlingssituation, insbesondere jedoch das von diesem Thema überlagerte Phänomen der Verteilungsgerechtigkeit. Genau genommen also die Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und den geringen Aufstiegschancen.
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